Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Wie sieht der Server von Facebook die Welt?

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Der Regisseur Philip Gröning beschäftigt sich als Künstler mit Künstlicher Intelligenz, die für ihn ein komplett neues Medium darstellt. In der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zeigt er aktuelle Arbeiten.

Von Jürgen Moises, München

Der Petersdom gehört zu den berühmtesten Gebäuden. Fast jeder hat die im Vatikan in Rom stehende Basilika in echt, im Film oder auf Fotografien schon gesehen. Nur ist die Frage: Was davon ist in Erinnerung geblieben? Die Kuppel, die Säulen, die "Römische Pietà" von Michelangelo? Und überhaupt: Was nimmt man bei einem Besuch im Petersdom oder in Rom tatsächlich wahr? Sieht man wirklich den Dom, die Stadt oder hakt man nur die vom Reiseführer vorgeschlagenen Sehenswürdigkeiten ab und macht davon ein Foto? Dem Regisseur und bildenden Künstler Philip Gröning, der mit Filmen wie "Die große Stille" bekannt wurde, kam es bei einem Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom 2016 jedenfalls so vor. Dass alle Touristen "wie ferngesteuert durch die Stadt gingen...Ein Abhaken, kein Sehen".

Bei dieser für ihn "beunruhigenden" Wahrnehmung blieb es aber nicht. Stattdessen hat diese zu künstlerischen Arbeiten geführt, die aktuell in der Ausstellung "Bildprozesse" in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zu sehen sind. Dafür hat Gröning, der 2018 und 2019 eine Gastprofessur an der Münchner Kunstakademie innehatte, seine Überlegungen zu einem Gedankenexperiment weitergesponnen. Kulminierend in der Frage, wie wohl der Server von Facebook oder Instagram Rom oder überhaupt die Welt wahrnimmt. Dort nämlich, in den sozialen Medien, landen unsere Urlaubsbilder. Deshalb hat der 62-Jährige eine Künstliche Intelligenz (KI) dort nach Fotografien von Rom suchen lassen und sie "gebeten", daraus Bilder vom Petersdom, von innen, von außen oder von der "Pietà" zu rekonstruieren. Und das Ergebnis ist durchaus verblüffend.

Die KI hat ein statistisches Weltbild und sieht Menschen als "Fehler"

So sieht man nun auf vier Lichtkästen einen Petersdom, der keinen Boden, der nur halbe Säulen hat. Die Kuppel, sie franst an der Seite aus. Die "Pietà" ist stark verpixelt und es gibt Irritationen, die man sich nicht so recht erklären kann. Der Grund? Das was fehlt, wurde einfach nicht fotografiert, zumindest nicht von vielen Leuten. Und Menschen sieht man auf den Bildern nicht, weil die KI nach Statistik und Konstanten geht und alles, was sich nicht wiederholt, als "Fehler" herausrechnet. Auch gibt es für die KI nichts zu 100 oder auch zu 0 Prozent. Es gibt für sie nur Werte dazwischen, weil die Wahrscheinlichkeit nichts "Hundertprozentiges" kennt. Stattdessen ist für sie etwas zu 31 oder 67 Prozent "real". Als Mensch kann man sich darunter aber nicht viel vorstellen.

Wie man so etwas nennt? Ein "statistisches Weltbild" oder einen "rein statistischen Existenzbegriff", wie Gröning am Tag der Ausstellungseröffnung erklärt. Und genau das will er mit seinen Bildern darstellen. Wieso? Weil KI für ihn ein "eigenständiges, neues Medium" ist, "mit komplett anderen Gestaltungsmöglichkeiten", so Gröning. "Ein eigener kultureller Raum, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen". Deswegen hat er auch das Löwenbräu-Zelt auf dem Oktoberfest von einer KI rekonstruieren lassen, ebenfalls basierend auf Fotos aus dem Internet. Was auf dem gezeigten Bild erstaunt? Man kann blaue Hemden und rosa Dirndl erkennen. Weil die KI diese offenbar als "Konstanten" wahrnimmt. Anderes franst aus, verliert sich in vagen geometrischen Formen, was auch die Skulpturen beweisen, die Gröning auf Grundlage ausgesuchter Bildmotive in Shanghai fräsen ließ. Dazu gehört die Hopfengirlande im Zelt, die als Skulptur aber eher wie ein Meteoritengestein aussieht.

Gescheitere Gestalterkennung und Kunst als Übersetzungsfehler

Für Gröning ist das ein gescheiterter Versuch der "Gestalterkennung", die wir als Menschen seit Millionen Jahren geübt haben, die die KI aber erst lernt. Oder anders gesagt: Es sind "kulturelle Übersetzungsfehler", wie man sie etwa auch aus der Kunstgeschichte kennt und die er als "die großen positiven Treiber" der Kultur bezeichnet. Solche "Fehler" zeigen auch Fotos, die der Künstler vom Münchner Eisbach gemacht und wo die KI des Smartphones Vorder- und Hintergrund nicht klar erkannt hat. Wobei es mit der menschlichen Wahrnehmung wie gesagt auch nicht so weit her ist.

Das zeigen wiederum andere Arbeiten, für die der Künstler Blumen, den Starnberger See oder den Moses von Michelangelo in San Pietro in Vincoli im Dunklen mit einer analogen Kamera fotografiert und diese dabei mit einem Laserpointer nachgezeichnet hat. Der Hintergrund: Wir sehen als Menschen keine "realen" Körper, sondern, so Gröning, "immer nur Licht und Gegenwart" und eine (vorgefertigte) Gestalt. Das Ergebnis sind jedenfalls "Lichtzeichnungen", die an abstrakten Expressionismus erinnern und mit denen er die Wahrnehmung neu schärfen will. Denn wie man sieht: Das mit dem Sehen ist gar nicht so einfach.

Bildprozesse - Arbeiten von Philip Gröning, bis 22. Dez., Bayerische Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3

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