Süddeutsche Zeitung

Sozialdemokratie:Sie haben ausgedient

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Die Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben die SPD befriedet und ihr einen großen Dienst erwiesen. Aber jetzt braucht die Partei ein Duo von anderem Format.

Kommentar von Mike Szymanski

Die Neuausrichtung der SPD neben dem wohl nächsten Kanzler Olaf Scholz schreitet schneller voran, als es allen in der Partei recht sein kann. Noch steht das Ampel-Bündnis nicht. Noch ist Scholz nicht gewählt. Inmitten dieser Zeit, in der alles im Fluss ist, hat der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, 69, schon angekündigt, auf dem Parteitag im Dezember nicht wieder als SPD-Chef anzutreten. Nur, wo Walter-Borjans für sich Klarheit schafft, entsteht Unklarheit an anderer Stelle.

Die SPD wird seit zwei Jahren von einer Doppelspitze geführt, von zwei Leuten also, die sich eigens zusammengefunden hatten, um die SPD zu lenken. Sein Verzicht setzt die Ko-Vorsitzende Saskia Esken unter Zugzwang, sich auch zu erklären: Will sie Chefin bleiben?

Die Partei muss den neu gewonnenen Einfluss sichern

Esken kann sich genauso vorstellen, Ministerin zu werden. Nur beides - das wird nicht gehen. Dies hat man ihr in der Partei längst bedeutet. Aber solange die Ampel-Verhandler nicht den Zuschnitt der nächsten Regierung festgelegt haben, kann Scholz ihr keine Zusage machen. Deshalb will Esken ihre Zukunft noch für eine gewisse Zeit offenlassen. Sie gerät jedoch zunehmend mit dieser Haltung in Bedrängnis, denn es entsteht der Eindruck, es gehe nur um ihre Karriere. Walter-Borjans letzter Akt für die Partei war somit auch ein unhöflicher gegenüber Esken.

Ungeachtet der Umgangsformen: Die Partei steht vor der Aufgabe, den neu gewonnenen Einfluss für die nächsten Jahre zu sichern. Das gelingt nur, wenn sie neben einem starken Kanzler auch über eine durchsetzungsstarke Parteiführung verfügt. Deshalb ist es - abgesehen vom Zeitpunkt - richtig, darüber nachzudenken, ob Esken und Walter-Borjans noch die richtigen an der Spitze sind.

Walter-Borjans funktionierte als Parteichef so gut, weil er keine Machtansprüche stellte, sondern sich in die Rolle des Moderators fügte. Esken hatte sich vor der Wahl fast unsichtbar gemacht, um Scholz als Kandidat voll und ganz wirken zu lassen. Den Strategen in der Partei war klar: Die SPD würde nicht wegen Esken und Walter-Borjans gewählt werden. Deren Verdienst lag darin, die Partei befriedet und mit Scholz als neuem starken Mann versöhnt zu haben.

Die letzte große Programmarbeit fand noch unter Andrea Nahles statt

Für die Zukunft als Kanzlerpartei reicht das nicht: Die letzte tiefgreifende Programmarbeit geht noch auf Andrea Nahles zurück. Die Ex-Chefin hatte ein Konzept für den Sozialstaat der Zukunft entwickeln lassen, das die Partei heute noch leitet. Dass die SPD etliche Fehler aus früheren Wahlkämpfen nicht wiederholte, geht ebenfalls auf frühere Analysen zurück. All dies schmälert keineswegs den Beitrag der beiden Chefs am Wahlerfolg. Der Apparat muss aber künftig wieder mehr leisten. Der Wahlerfolg täuscht darüber hinweg, wie brüchig die Strukturen der Partei über all die Jahre geworden sind. Es gibt viel zu tun.

Als neues Spitzenduo drängen sich zwei geradezu auf: Generalsekretär Lars Klingbeil, 43, und Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig, 47. Er kennt die Partei wie kein anderer, weil er sie durch ihre bittersten Stunden begleitet hat. Schwesig hat nach ihrer Zeit als Bundesministerin die SPD in Mecklenburg-Vorpommern jetzt wieder an die 40 Prozent herangeführt. Beide brächten eine Autorität mit, die Esken und Walter-Borjans immer fehlte. Mit ihnen an der Spitze wäre die SPD künftig mehr als nur eine One-Man-Show unter Scholz.

Und Esken? Sie wird als Digitalpolitikerin geschätzt, in Bildungsthemen hat sie sich eingearbeitet. Warum sollte sie nicht eine gute Ministerin werden?

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