Süddeutsche Zeitung

Militäreinsätze:Im Treibsand des Sahel

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Mali, Nigeria, Tschad, der Sudan und nun auch noch Burkina Faso. Die Instabilität in der Sahelzone greift weiter um sich, davon profitieren auch Islamisten. Was das für Europa bedeutet.

Kommentar von Arne Perras

Burkina Faso hat es ins Viertelfinale des Afrika-Cups geschafft, was der Torhüter des Landes am Sonntagabend mit einem spektakulären fünffachen Flickflack auf dem Platz feierte. Die Freude über den Fußball steht allerdings in bizarrem Kontrast zu den politischen Wirren, die den westafrikanischen Staat niederdrücken und Zukunftsängste schüren, nicht nur bei den Bewohnern von Ouagadougou, sondern im ganzen Land und weit über dessen Grenzen hinaus.

Vor sechs Jahren noch feierte das Land einen demokratischen Übergang. Burkina Faso hatte die Langzeitdiktatur von Blaise Compaoré überwunden, doch nun haben Mitglieder der Armee gemeutert, den Präsidenten Roch Marc Kaboré festgesetzt und seine Regierung für beendet erklärt. Ouagadougou erlebt einen Putsch, wie zuvor schon das Nachbarland Mali.

Mali galt als afrikanische Muster-Demokratie. Jetzt zerfällt es

Die Wirrnisse in Burkina Faso sind Symptome einer Krise, die sich nahezu über den gesamten Gürtel der Sahelzone erstreckt, jenen klimatisch sehr fragilen Streifen, der die Sahara vom tropischen Afrika trennt. Es sind Länder, die sich mehr oder weniger nahe am Abgrund bewegen, die Gewalt im sudanesischen Darfur ist wieder aufgeflammt, Spannungen in Tschad sind nicht bewältigt. Die Rebellion von Boko Haram drückt den Norden Nigerias seit Jahren nieder.

Und immer wieder Mali: Ein Land, das einmal vielen als afrikanische Musterdemokratie galt, zerfällt; die Bevölkerung kann trotz der Präsenz von französischen Soldaten und UN-Truppen blutigen Auseinandersetzungen zwischen mörderischen Milizen und oft gnadenlosen Armeeeinheiten kaum entkommen, Tausende zivile Opfer sind zu beklagen. Nun sollen es ausgerechnet russische Söldner richten, gerufen von der Putschregierung in Bamako. Aber wer hier eigentlich noch wen beschützt oder bedroht, das ist in den unübersichtlichen Weiten der Halbwüste schwer zu erfassen.

Helfen deutsche oder französische Soldaten - oder verschärfen sie die Lage?

Am Schicksal der französischen Elitetruppen im Sahel lässt sich ganz gut erkennen, wie riskant der politische Treibsand für dort intervenierende Mächte ist. Anfangs wurden die französischen Soldaten in Mali als Retter bejubelt, doch ihr Ruf hat gelitten, nun gilt er als zweifelhaft bis ruiniert. Ja, sie haben Kommandeure der Dschihadisten ausgeschaltet, einen nach dem anderen.

Frankreichs Armee feierte in Mali regelmäßig militärische Erfolge gegen islamistische Milizen. Doch es hat auch zahlreiche Soldaten verloren und muss sich noch dazu fragen lassen, was das alles gebracht hat, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, alle Bevölkerungsgruppen in einen Friedensprozess einzubinden, der die Basis für einen stabilen Staat legen könnte. Die bittere und unbequeme Botschaft, die häufig übersehen wird, lautet leider: Viele Menschen in den Dörfern der Sahelstaaten haben ihren eigenen Staat und dessen Armee als brutal, korrupt und unzuverlässig erlebt. Und womöglich muss sich Europa an den Gedanken gewöhnen, dass diese Länder gar nicht anders können, als mit islamistischen Gruppen zu verhandeln, wollen sie jemals dem Krieg entkommen.

Europas doppeltes (und eigennütziges) Ziel im Sahel ist rasch formuliert: Der Norden will erstens vermeiden, dass die Flüchtlingsströme aus Afrika zunehmen; und er will zweitens islamistische Gruppen ausschalten, die Anschläge jenseits des Mittelmeers verüben könnten. Dafür schicken Berlin und Paris Soldaten, aber die entscheidende Frage lautet: Sind sie die ersehnte Feuerwehr - oder doch eher unfreiwillige Brandbeschleuniger? Alle, die nun bald über Mandate europäischer Soldaten in unübersichtlichem Terrain entscheiden, sollten darauf eine Antwort suchen.

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