Süddeutsche Zeitung

EU-Zahlungen an Polen:Falsch verstandene Loyalität

Lesezeit: 2 min

Die EU-Kommission wertet Polens Schritte zur Auflösung der Disziplinarkammer als Entgegenkommen. Die Regierungspartei PiS wird dies ausnutzen.

Kommentar von Viktoria Großmann

Illoyalität hat eine Sprecherin der polnischen Regierungspartei PiS kürzlich der Opposition vorgeworfen. Illoyal zum polnischen Staat sei diese, weil sie auf Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes beharrt und die Scheinreformen der Regierung für das Justizwesen nicht mittragen möchte. So gesehen verhält sich die EU-Kommission nun sehr loyal zur polnischen, rechtsnationalen Regierung.

In Brüssel entschloss man sich, das oberflächliche Herumoperieren an der laut EuGH nicht rechtmäßigen Disziplinarkammer für Richter als konstruktives Entgegenkommen zu werten - der erste Schritt für eine Auszahlung der Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds ist gemacht. Auch wenn Polen noch etliche Bedingungen erfüllen muss. Bemerkenswert ist, dass hochrangige Mitglieder der Kommission Polens Plan für die Mittelverwendung nicht annehmen wollten, darunter Vizepräsidentin Věra Jourová, zuständig für Werte und Transparenz, oder Didier Reynders, Kommissar für die Justiz.

Die PiS-Partei will Einfluss auf Gerichte und Medien nehmen

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte jedoch wohl unbedingt ein Zeichen der Geschlossenheit unter den EU-Ländern senden. Mit ihrem Vorgehen verschafft sie der PiS-Partei einen Sieg, den diese für sich ausnutzen wird, ein Ansteigen der Beliebtheitswerte ist absehbar. Dabei hat die Partei in bald sieben Jahren Regierungszeit gezeigt, welche Interessen sie verfolgt: konsequente Einflussnahme auf Gerichte und Medien. Eine ernsthafte Rücknahme aller Schritte zum Abbau der Gewaltenteilung ist von dieser Regierung nicht zu erwarten.

Illoyal verhält sich damit die Kommissionspräsidentin gegenüber allen Streitern und Kämpfern für Rechtsstaat und Demokratie in Polen. Die polnische Richtervereinigung "Iustitia" etwa hat sich wiederholt mit ihren Bedenken gegenüber der PiS-Regierung direkt an die Kommission gewandt, auch jetzt wieder - vergebens.

Polen hat eine überaus aktive und lebendige Zivilgesellschaft. In zahlreichen NGOs und Verbänden engagieren sich Menschen nicht nur unermüdlich für die Unabhängigkeit der Justiz. Sondern auch gegen die Diskriminierung Homosexueller, für das Recht auf Abtreibung und für Flüchtlinge - sowohl aus der Ukraine als auch für jene, die über die belarussische Grenze kommen. Vor allem den Freiwilligen und den Kommunen gebührt Anerkennung und Unterstützung wegen ihres Einsatzes für Flüchtlinge, nicht der Regierung.

Die EU-Kommission enttäuscht das Vertrauen, das viele Polinnen und Polen in Europa setzen

Es sind diese Polinnen und Polen, welche die Demokratie am Leben erhalten und die gemeinsamen Werte der EU verteidigen. Und die trotz allem auf die Kommission hoffen, auf sie vertrauen, dass sie es am Ende richten wird, dass sie ihnen in ihrem Kampf gegen ein System, das dieses Engagement nur verunglimpft, beistehen wird.

Dieses Vertrauen enttäuscht die EU-Kommission jetzt erneut. Erschreckend auch ihr Missachten der Urteile des EuGH und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die von der polnischen Justiz nicht umgesetzt, gar bekämpft werden. Die Richter haben alles getan, die Politik ist am Zug, und nur auf die europäische Politik kann man dabei noch hoffen.

Dass die polnische Regierung die Bedingungen für die Auszahlung des EU-Geldes erfüllen wird, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist, dass sie eine mögliche Zahlungsverweigerung zum Anlass nehmen wird, die EU weiter schlechtzureden. Am Ende geht alles wieder vor Gericht. Damit ist dann zwar ein weiterer Schritt getan, aber nur tiefer in den Schlamassel.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5596420
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.