Süddeutsche Zeitung

Pandora-Papers:Der Sumpf und die Frösche

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Die wohl bitterste Erkenntnis dieser weltumspannenden Recherche: dass sogar Politiker durch Steuerflucht korrumpiert sind, die ihr offiziell den Kampf angesagt haben.

Kommentar von Kristiana Ludwig

Man kann nicht sagen, dass die Position des Finanzministers in diesen Tagen zu wenig Aufmerksamkeit bekäme. Olaf Scholz hatte sie gerade und will nun aus diesem Amt heraus Kanzler werden. Die Parteichefs der Grünen und der FDP, Robert Habeck und Christian Lindner, haben sich beide als Finanzminister der Zukunft ins Spiel gebracht. Dieses Ressort strahlt Macht aus: Wer in einer Regierung über die Steuern herrscht, der hat oft das letzte Wort.

Bloß bei einem entscheidenden Thema, das zeigen nun ein weiteres Mal die Enthüllungen durch die Pandora Papers, haben auch deutsche Finanzminister ihre Macht bisher nicht genutzt: Wenn es darum geht, die Steuerflucht der reichsten Bürger und Unternehmen zu verhindern. Viele Milliarden Euro gehen den deutschen Finanzämtern jedes Jahr verloren, weil Firmen ihre Gewinne in Steueroasen verlagern. Die Konsequenzen, mit denen solche Unternehmer rechnen müssen, sind gering. Für die Aufklärung von Steuerflucht fehlen ausreichend Finanzbeamte, die gezielt auf die Steuerparadiese schauen können, und wirksame verbindliche internationale Abkommen.

Die Pandora Papers, interne Daten von 14 unterschiedlichen Finanzdienstleistern, die sich allesamt darauf spezialisiert haben, den privilegiertesten Menschen der Erde dabei zu helfen, der Gemeinschaft Geld zu entwenden, machen zwei Dinge klar: Wie einfach Steuerhinterziehung geblieben ist - und wie wenig Interesse weltweit politisch bestehen dürfte, diese Schlupflöcher zu schließen. Denn es sind längst nicht nur wohlhabende Privatleute oder große Konzerne, die die Dienste dubioser Steuerkanzleien in Anspruch nehmen, sondern auch Politiker aus aller Welt: 35 aktuelle oder frühere Staats- und Regierungschefs und mehr als 330 hochrangige Beamte und Politiker aus fast hundert Ländern finden sich in den Unterlagen der Pandora Papers, unter ihnen nicht nur ein Finanzminister.

Wenn man also erklären möchte, warum in den vergangenen Jahren eigentlich so wenig passiert ist, um Steueroasen zu sanktionieren, könnte man es wie Wolfgang Schäuble formulieren (ebenfalls einer, der das Finanzressort gut kennt): "Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen."

Verdecktes Geld für Luxushäuser

In welchem Umfang Politiker auf der ganzen Welt durch die eigene Steuerflucht korrumpiert sind - das ist wohl die bitterste Erkenntnis dieser Recherche. Wenn der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš, der vor seiner ersten Wahl massiv damit warb, den korrupten Eliten entschlossen entgegenzutreten, sich selbst über Briefkastenfirmen ein imposantes Landschloss zulegt. Wenn der Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenskij, seinen Amtsvorgänger für dessen Offshore-Geschäfte kritisiert - und zugleich eine eigene Briefkastenfirma verschweigt. Oder wenn der König Jordaniens als Garant für Stabilität auftritt, damit Entwicklungshilfe für seine arme Bevölkerung fließt - er aber auch Geld übrig hat, das er verdeckt in Luxusimmobilien investieren kann. Wer in der internationalen Zusammenarbeit gegen Steuerflucht solche Partner hat, braucht keine Gegner mehr.

Deutschland hat gerade einen Bundestagswahlkampf hinter sich, in dem Steuern als Instrument der Gerechtigkeit eine große Rolle spielten: Ein paar Prozentpunkte mehr für die Spitzenverdiener, forderten die einen, Entlastungen für kleinere Einkommen die anderen. Finanzbeamte wünschen sich aber ganz andere Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit: etwa ein Steueroasen-Abwehrgesetz, das seinen Namen auch verdient. Dieses neue Regelwerk war in diesem Jahr eines der letzten Projekte des scheidenden Finanzministers Olaf Scholz. Es stützt sich allerdings bei der Bekämpfung von Steuerflucht lediglich auf eine schwarze Liste der EU, auf der zwar Länder aus Lateinamerika und Afrika zu finden sind - nicht aber Malta oder Zypern, die Steuerparadiese vor der Haustür. Handelt es sich auch hier um falsch verstandene Solidarität unter den EU-Mitgliedsstaaten?

Alle Parteien, die im Augenblick um eine Regierungsbildung in Deutschland ringen, haben trotz des neuen Gesetzes vor der Wahl eine entschlossenere Bekämpfung von Steuerflucht versprochen. Diesen Kampf, so geht es aus ihren Programmen hervor, wollen sie vor allem international führen. Natürlich, was bleibt angesichts der vielen Staaten, die von den unehrlichen Bürgern anderer Länder profitieren, auch sonst übrig. Wenn hier aber Diplomatie die wichtigste Waffe ist, sollte ein künftiger Kanzler oder Finanzminister eines nicht vergessen: Seit Jahren sind es nicht vor allem die Finanzbehörden, die große Steuervergehen zu Tage fördern - sondern die Arbeit Hunderter Journalistinnen und Journalisten weltweit.

Der Mut Einzelner entscheidet

Die Recherchen von unabhängiger Presse sind beim Steuerthema mittlerweile so entscheidend geworden wie in kaum einem anderen Feld. Denn dass immer wieder umfangreiche Datensätze voller interner Dokumente in ihre Hände gelangen, ist bislang die einzige effektive Möglichkeit, das Handeln der Superreichen und Mächtigen in Steueroasen zu entlarven. Journalismus auf Grundlage von Leaks ist so zu einem Ersatz für politisches Handeln und Strafverfolgung geworden. Anders gesagt: Um die Vergehen der Reichsten zu ahnden, braucht die Gesellschaft den Mut Einzelner und dann eine unabhängige Recherche.

Für die neue Regierung sollte also der Schutz von Whistleblowern und Journalisten eine mindestens genauso große Rolle spielen wie das Ringen um neue Steuerabkommen. Denn diese beiden Gruppen sind es heute tatsächlich, die die Gesellschaften vor ihren Betrügern warnen.

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