Süddeutsche Zeitung

Grünwald:Für bayerische Steueroasen ist das Finanzamt zuständig

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Die Briefkastenfirma-Betreiberin Andrea Tandler ist nun verurteilt - doch diejenigen, die ihr Geschäftsmodell ermöglicht haben, machen weiter im Münchner Villenvorort Politik. Das geht auf Kosten der Stadt und der Steuerzahler.

Kommentar von Lars Brunckhorst

Statt der Kavallerie, die der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück 2009 in die Schweiz und nach Ouagadougou schicken wollte, täten es in diesem Fall wohl die Gebirgsjäger: Grünwald, das seit der Verurteilung der Corona-Masken-Händlerin Andrea Tandler Deutschlands bekannteste Steueroase ist, liegt schließlich unmittelbar am Münchner Stadtrand. Mit den Bahamas und den Cayman Islands teilt die Gemeinde im Isartal zwar nicht die Palmenstrände - hier gibt es bestenfalls Kiesbänke -, aber extrem niedrige Steuersätze. Seit 20 Jahren zahlen Firmen im CSU-beherrschten Grünwald nur in etwa halb so viel Gewerbesteuer wie im SPD-regierten München, was zur Folge hat, dass sich bei gerade einmal 11 000 Einwohnern rund 8000 Unternehmen angesiedelt haben - ein Großteil davon reine Briefkastenfirmen.

Und so saßen neben der Politikertochter Tandler indirekt auch die Grünwalder Lokalpolitiker und Rathausbeamten mit auf der Anklagebank. Anders als die Steuerhinterzieherin kommen diese jedoch straflos davon, auch wenn sie in diesem Fall - und ungezählten mutmaßlichen weiteren Fällen - durch aktives Wegsehen ermöglichen, dass Millionen am Fiskus vorbeigeschleust werden. Mögen sie auch durch den Tandler-Prozess in der öffentlichen Meinung mitverurteilt sein und dazu beitragen, dass dem Klischee von Grünwald als Villenort der Schönen und Reichen neuerdings der Ruf anhängt, ein Hort der Abzocker und Gierigen zu sein - auf Schuldgefühle oder gar Einsicht im Rathaus sollte man eher nicht warten. Es sei nicht Aufgabe der Gemeinde, die Firmen zu kontrollieren, heißt es dort lapidar; darum müsse sich das Finanzamt kümmern.

Dabei weiß man im Rathaus sehr genau, dass Unternehmen ihre Adressen nur deshalb in den Ort verlegen, um ihre Gewinne möglichst niedrig zu versteuern. So erwartete man bereits 2020 - Corona war noch ein ganz neues Virus -, dass ortsansässige Firmen von der Pandemie profitieren würden und mithin die Gemeindekasse. Tatsächlich nahm die Kämmerei dann auch 2022 die Rekordsumme von 236 Millionen Euro an Gewerbesteuer ein - nach 130 bis 170 Millionen in den Jahren zuvor. Aber von schlechtem Gewissen keine Spur. Im Gegenteil. Mit den Steuermillionen kann sich Grünwald nicht nur eine Infrastruktur leisten, von der andere Kommunen träumen, Bürgermeister Jan Neusiedl verweist auch stets selbstbewusst darauf, dass seine Gemeinde übers Umlagesystem ganz erheblich den gesamten Landkreis München finanziert. Weil dieser also ebenfalls von dem Steuermodell profitiert, das vor allem zu Lasten der Landeshauptstadt geht, hat man im CSU-geführten Landratsamt wenig Interesse, dass sich daran etwas ändert.

Allerdings könnte das Grünwalder Steuermodell durch das Tandler-Urteil nun ins Wanken geraten. Nicht nur, weil die Stadt München Millionen an Gewerbesteuer von der Gemeinde zurückfordert, sondern weil das an der prominenten Steuerhinterzieherin statuierte Exempel andere Steuerflüchtlinge abschreckt. Hinzu kommt: Weil andere das Modell längst kopieren, hat ein Wettbewerb eingesetzt, in dem sich Gemeinden mit niedrigen Steuersätzen gegenseitig unterbieten. Bei dieser Kannibalisierung verlieren letztlich alle. Das Einzige, was dagegen hilft, wäre daher eine Harmonisierung der Gewerbesteuerhebesätze mit einem höheren Mindestniveau. Dazu braucht es weder eine Kavallerie noch Gebirgsjäger, sondern nur die Entschlossenheit der Finanzminister in Berlin und München.

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