Süddeutsche Zeitung

Whistleblower:Held oder Verräter

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Wo liegen die Grenzen der Pressefreiheit? Worum es im Fall Assange wirklich geht.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Ob Julian Assange aus Großbritannien in die USA ausgeliefert wird, ist nach dem Urteil des Londoner High Court noch immer offen, fest steht aber: Nun hat die Politik das Wort. Das britische Innenministerium soll nach dem Willen des Berufungsgerichts darüber befinden, ob dem schwer kranken Wikileaks-Gründer in den Vereinigten Staaten der Prozess gemacht wird. Mit dieser Entscheidung bestätigt das Gericht geradezu den Vorwurf von Assanges Anwälten: Dies ist ein hoch politisches Verfahren.

Assange drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft. Ihm wird vorgeworfen, mit einer Whistleblowerin geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Seinen Anhängern gilt er deshalb als Held, die amerikanischen Ankläger betrachten ihn als Staatsfeind und Verschwörer, der das Leben von Menschen in Gefahr gebracht habe. Vor dem Berufungsgericht ging es allerdings weniger um das, was Assange strafrechtlich zur Last gelegt wird, als um seinen Gesundheitszustand. Noch im Januar hatte ein britisches Bezirksgericht eine Auslieferung abgelehnt, weil angesichts der drohenden schweren Haftbedingungen ein Suizidrisiko bestehe. Nun hat der High Court die Zusicherungen der USA an Großbritannien anerkannt, Assange unzumutbare Härten zu ersparen: So soll er etwa nicht in Einzelhaft müssen.

Assange wird gegen das Londoner Urteil zu Recht Berufung einlegen. Über sein Schicksal darf nicht die Politik entscheiden, sondern der britische Supreme Court oder gar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Julian Assange hat Material veröffentlicht, das von größtem öffentlichen Interesse war, weil es mutmaßliche Kriegsverbrechen der USA offenlegte. Das Urteil des High Court in London ist insofern nicht nur ein schwerer Rückschlag für Assange, sondern auch für die Pressefreiheit.

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