Süddeutsche Zeitung

Thomas Bach beim IOC:Der zynische Präsident

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Das wiedergewählte Oberhaupt des IOC beharrt darauf, den Sport für unpolitisch zu erklären - je nach Bedarf. Das ist bevormundend und weltfremd.

Kommentar von Holger Gertz

Thomas Bach, Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), ist kein Politiker, sondern der Welt oberster Sportfunktionär. Allerdings ist die Frage, ob der Sport unpolitisch sei, längst und oft beantwortet worden: Er ist es nicht. Bach ist IOC-Präsident seit 2013 und am Mittwoch bei einer virtuellen Sitzung für vier weitere Jahre gewählt worden. Weil aber der Sport politisch ist, muss sich auch Bach daran messen lassen, wie seine politische Bilanz aussieht. Er selbst bleibt da im Vagen. Der Jurist Bach ist ein Präsident des entschlossenen Einerseits und Andererseits.

In seiner Neujahrsbotschaft für 2020 hatte er einerseits formuliert: "Wir stehen entschieden gegen die zunehmende Politisierung des Sports." Andererseits war vorher, bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang, ein gemeinsames Eishockeyteam aus Süd- und Nordkoreanerinnen angetreten. Ein eindeutig politisches Signal des IOC: Es ging eben nicht nur um Sport, sondern um ein Symbol der Annäherung auf der koreanischen Halbinsel. Und nordkoreanische Cheerleaderinnen durften in den höchsten Tönen dazu singen.

Unerbittliche Debatten sind gang und gäbe. Warum sie bei Olympia abwürgen?

Bachs IOC ist gern politisch, wenn dadurch das Prestige gefestigt wird. Andererseits: Die Athleten sollen sich bitte zurückhalten, so steht es im Regelwerk. "Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt." Zu den hedonistischen Nullerjahren hätte die Vorgabe gepasst: Seinerzeit gehörte es zum Style vieler Sportlerinnen und Sportler, sich halbnackt in Magazinen herzeigen zu lassen. Protest, wenn es ihn gab, wurde eher sanft formuliert, Athletinnen pinselten sich Slogans schon mal auf den Bauch.

Die Zeiten haben sich aber geändert, und die kritischen Köpfe der Gegenwart, etwa die Fußballerin Megan Rapinoe oder die Tennisspielerin Naomi Ōsaka, liegen mehr auf der härteren Linie: Sie folgen den frühen Antirassismus-Kämpfern Tommie Smith und John Carlos, die 1968 in Mexiko ihre Fäuste in den Himmel reckten. Überhaupt debattiert die jüngere Generation über Geschlechtergerechtigkeit, Gleichstellungspolitik, Rassismus mit einer Unerbittlichkeit, die Ältere bisweilen überfordert. Diese Diskussionen werden in der Familie geführt, im Netz, an der Uni - warum sollten sie bei Olympia, wo doch die Jugend der Welt zusammenkommt, abgewürgt werden? Bachs Beharren darauf, den Sport je nach Bedarf für unpolitisch zu erklären, wirkt bevormundend, weltfremd. Vor allem zynisch.

Die ersten Spiele nach der Pandemie werden in Peking sein. Ausgerechnet

Es ist nicht so, dass sich überhaupt nichts bewegt in Bachs IOC. Passend zum Weltfrauentag wurde betont, dass die Sommerspiele von Tokio mit einem Anteil von 49 Prozent weiblicher Athleten die ersten seien, bei denen die Gleichstellung der Geschlechter erreicht werde. Aber nur wenige Monate nach Tokio - sofern die Spiele stattfinden - steht Peking 2022 auf dem Plan. Ausgerechnet Peking darf als erste Stadt nach Sommerspielen auch Winterspiele austragen. Ausgerechnet Peking, wo schon 2008 die Menschenrechte missachtet wurden und wo man - nur ein Detail, aber ein sprechendes - selbst im internationalen Pressezentrum keinen freien Zugang zum Internet garantierte. Nicht einmal dieses Mindestmaß an Zugeständnis hatte das IOC den Gastgebern abringen können.

Und diesmal? Mitarbeiter von Human Rights Watch haben einen Brandbrief an Bach geschrieben: "Die Spiele 2022 werden in einem Menschenrechtsumfeld stattfinden, das deutlich schlechter ist als bei den Spielen 2008." Nach der Pandemie käme die Welt also in einem Überwachungsstaat wieder zusammen, der die Uiguren brutal unterdrückt und die Demokratiebewegung in Hongkong bekämpft. Welch ein zynisches Signal. Und welch bittere politische Zwischenbilanz der Ära Bach.

Wie hieß es mal über ihn? "Putins Pudel"

Thomas Bach hätte sich zu Beginn seiner Amtszeit, als Peking 2022 noch zu verhindern gewesen wäre, wenigstens für dieses eine entscheidende Gebot einsetzen können: Olympische Spiele nur noch in Ländern, die glasklar die Menschenrechte wahren. Stattdessen hat Bach, der Apologet des unpolitischen Sports, dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping den Olympischen Orden verliehen. Nicht ohne Grund wird die Nähe zu autoritären Potentaten dem IOC und dessen Chef von Kritikern vorgehalten, sogar die Bild-Zeitung wagte sich hier auf das Terrain der Alliteration und nannte Bach "Putins Pudel".

Nun wird Bachs letzte Amtszeit geprägt sein von Peking 2022. Allmählich bringen sich weltweit Kritiker in Stellung, das Stichwort Boykott poppt auf. Bei den olympischen Ideologen setzen sie darauf, dass die Welt die Spiele nach Corona als Fackel am Ende des Tunnels versteht. So könnte es natürlich kommen. Andererseits hat die Pandemie manchem klargemacht, was wichtig und was entbehrlich ist. Wie entbehrlich ist Olympia? Die entscheidenden Debatten kommen auf Thomas Bach erst noch zu.

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