Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Ohne geht's nicht. Noch nicht

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Natürlich sind Atom- und Gaskraftwerke nicht nachhaltig, selbst wenn die EU sie dazu erklärt. Doch wahr ist auch: Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie kann Europa kaum als Vorbild dienen.

Kommentar von Björn Finke

Robert Habeck hat sich einen pikanten Zeitpunkt für seinen Antrittsbesuch in Brüssel ausgesucht. Der Wirtschafts- und Klimaschutzminister von den Grünen tauschte sich am Dienstag mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus. Deren Behörde wird in den kommenden Tagen einen umstrittenen Rechtsakt verabschieden, der Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke für nachhaltig erklären soll. Aktien von Nuklear- und Gaskonzernen könnten sich dann in Ökofonds finden. Die Bundesregierung lehnt das grüne Siegel für Atommeiler vehement ab, verlangt aber zugleich von der Kommission laxere Bedingungen für Gaskraftwerke. Doch der Gedanke ist komplett irrsinnig, dass Gas- und Atomkraftwerke nachhaltig sein könnten.

Bei Kernreaktoren spricht das Endlagerproblem gegen diese Einstufung. Und Gasmeiler blasen Klimagase in die Atmosphäre, wenn auch viel weniger als Kohlekraftwerke. Dass nun die Grünen als Regierungspartei die Forderung mittragen, auf mehr Gaskraftwerke ein Ökolabel zu pappen, ist geradezu grotesk.

Das Vorhaben ist politisch motiviert, nicht wissenschaftlich begründet

Der heikle EU-Rechtsakt ist Teil der sogenannten Taxonomie. Mit diesem Klassifizierungssystem bestimmt die Kommission, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Das soll Greenwashing verhindern, also die Unsitte, dass sich Firmen oder Investmentfonds als grüner verkaufen, als sie es sind.

Das ehrgeizige und sehr löbliche Projekt soll das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen und so mehr Geld von Anlegern anlocken. Aber der fatale - politisch und nicht wissenschaftlich motivierte - Plan der Kommission, auch Kern- und Gaskraftwerke aufzunehmen, wird die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei Investoren und Fondsgesellschaften erschüttern.

Die Behörde hat sich hier dem Druck von Mitgliedstaaten wie Frankreich gebeugt, die ansonsten Nachteile bei der Finanzierung von Atomreaktoren befürchten. Und dem Druck von Regierungen wie der deutschen, die mit Gaskraftwerken die Lücke schließen will, die das Abschalten der Kern- und später der Kohlekraftwerke reißen wird.

Der deutsche Atomausstieg kann kein Vorbild sein

Tatsächlich besteht kein Zweifel daran, dass die EU Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke benötigt, als Brückentechnologie auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Energieversorgung. Denn die Mitgliedstaaten müssen sich schnell von den besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerken verabschieden. Zugleich wird der Strombedarf enorm steigen, etwa wegen des Siegeszugs der Elektroautos. Doch dass diese Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unverzichtbar sind und übergangsweise prima für das Klima, macht sie eben noch lange nicht nachhaltig - und zu Kandidaten für Öko-Finanzprodukte.

Die Kommission sollte ruhig würdigen, welch wichtige Rolle Atomenergie und Gas für den Kampf gegen die Erderhitzung spielen. Aber das muss auf anderem Weg geschehen und darf nicht die grüne Taxonomie entwerten. Vielen Deutschen ist freilich jedwede Belobigung von Kernkraftwerken zuwider. Die meisten EU-Partner sind hier allerdings entspannter. Und Deutschlands rigoroser Atomausstieg wirkt bisher auch nicht gerade nachahmenswert: Das Abschalten der letzten Kernkraftwerke führt nur dazu, dass Deutschland länger den Klimakiller Kohle verfeuern muss und abhängiger von russischem Gas und französischen Atomstromimporten wird. Das kann kein Vorbild für Europa sein.

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