Süddeutsche Zeitung

Scholz in Warschau:Geliebtes Feindbild

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Polen hat derzeit kein Interesse daran, das Verhältnis zu Deutschland zu verbessern. Daran ändert auch eine neue Bundesregierung erst einmal nichts.

Kommentar von Daniel Brössler, Warschau

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Worten empfangen, nun werde ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen aufgeschlagen. Damit hat er eigentlich nur insofern recht, als man sich in Warschau wie überall sonst in Europa an die Christdemokratin Angela Merkel gewöhnt hatte. Der Antrittsbesuch des Sozialdemokraten Scholz hat gezeigt, dass sich im Verhältnis zu Polen allenfalls Nuancen ändern. Im Umgang mit wenigen Ländern ist der Spielraum so eingeschränkt wie in dem mit Polen. Er kann sich nur bewegen im engen Korridor zwischen historischer Verantwortung, europapolitischen Zwängen und rechtsstaatlicher Prinzipientreue.

Im Koalitionsvertrag der Ampel markieren diesen Korridor die Beteuerung, Deutschland und Polen verbinde eine tiefe Freundschaft, und die Versicherung, man wolle eine EU, die entschlossen für Rechtsstaatlichkeit eintritt. Es ist Olaf Scholz nicht zu verdenken, dass er bei seinem ersten Besuch die Freundschaft etwas stärker betont hat als die Rechtsstaatlichkeit, aber am Grundkonflikt ändert das nichts.

Das Streben nach guten Beziehungen zum größten und wichtigsten östlichen EU-Nachbarn, der unter dem NS-Terror so furchtbar gelitten hat, ist Teil der deutschen Staatsräson. Der Schutz der Union vor Zerstörung durch den autokratischen Virus ist es aber ebenso. Die nationalistische Führung in Warschau höhlt den Rechtsstaat seit Jahren systematisch aus und macht mit Kampagnen gegen Berlin und Brüssel Stimmung. Solange das so ist, gilt: Jede Bundesregierung muss gute Beziehungen zu Polen suchen, aber keine kann sie wirklich finden.

In aller Freundlichkeit prallen zwei politische Welten aufeinander

Für die polnische Regierung in ihrer derzeitigen Gestalt ist es übrigens genau umgekehrt. Sie müsste Wege zu einem guten Verhältnis nicht lange suchen, aber sie will sie auf keinen Fall finden. Jedenfalls nicht vor den Augen ihrer Öffentlichkeit. Zu wertvoll ist dem eigentlichen Machthaber Jarosław Kaczyński und seiner Anhängerschaft Deutschland als Feindbild. Zu besichtigen ist das auf Plakaten, die deutsche Politiker und den deutschen Botschafter verunglimpfen. Zu hören ist es, wenn Kaczyński die im Koalitionsvertrag der Ampel beschriebene Vision eines europäischen Bundesstaates als "Viertes Reich" schmäht und Ministerpräsident Morawiecki vor "Gleichschaltung" warnt. Die Angstmache vor Deutschland und die Demontage von Demokratie und Rechtsstaat gehen in Polen seit Jahren Hand in Hand.

So gesehen sind beim Antrittsbesuch des Kanzlers in aller Freundlichkeit zwei politische Welten aufeinandergeprallt. Wo Scholz versuchte, ein wenig Luft aus den diversen Konflikten zu lassen, pumpte Morawiecki eifrig nach. In diesem Wechselspiel ging Scholz allerdings zu weit, als er die polnische Forderung nach Reparationen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg mit dem Verweis auf Wohltaten dank deutscher EU-Zahlungen ins Leere laufen ließ. So etwas klingt für viele Polen nach genau jener germanischen Überheblichkeit, die Kaczyński in die Hände spielt.

Auch verspricht sich Kanzler Scholz womöglich zu viel von einer "pragmatischen" Lösung zwischen EU-Kommission und polnischer Regierung im Streit über die Rechtsstaatlichkeit und blockierte Aufbauhilfen. Kaczyński mag zu taktischen Kompromissen bereit sein, aber sicher nicht zu einer echten Kursänderung. Das neue Kapitel in den Beziehungen wird warten müssen, bis zu einer neuen Regierung auch in Warschau.

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