Süddeutsche Zeitung

Kritik am Rundfunkinstitut:Hat sich die IRT-Chefetage selbst ausgetrickst?

Lesezeit: 3 min

Das Technik-Institut von ARD und ZDF soll eigenen Erfindern Patenterlöse vorenthalten haben. Aber der verdächtige Anwalt ist womöglich nicht allein daran schuld.

Von Klaus Ott

Arbeitnehmererfindungsgesetz, das ist ein langes Wort für eine tolle Sache. Wer im Job etwas austüftelt, das dem eigenen Betrieb Patenterlöse bringt, für den fällt einiges ab: Das Unternehmen muss die Beschäftigten "angemessen" an den Einnahmen beteiligen. Doch das schönste Gesetz nützt nichts, wenn es umgangen wird. Genau das soll beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München geschehen sein, einer Tochtergesellschaft von ARD und ZDF und weiteren öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ausgerechnet dort, wo besonders sorgsam gewirtschaftet werden müsste, ist es angeblich zu Lug und Trug gekommen. Das für seine vielen Erfindungen für Rundfunk und Multimedia bekannte IRT soll einen Teil seiner Patenterlöse so verrechnet haben, dass für die Mitarbeiter weniger abgefallen sei als vereinbart und vorgeschrieben. Ein schwerer Vorwurf.

Die Staatsanwaltschaft München I geht dem Verdacht nach, ein Patentanwalt habe das IRT bei der Vermarktung von wertvollen MPEG-Rechten über Jahre hinweg um 200 Millionen Euro betrogen. MPEG spielt eine wichtige Rolle bei MP3-Playern. Der Patentanwalt, ehedem beim IRT beschäftigt, sitzt in München in Untersuchungshaft. Er wirft dem Institut vor, seine eigenen Erfinder hintergangen zu haben. Eine hässliche Sache. Doch ausgerechnet diese Anschuldigung könnte dem IRT und seinen Betreibern am Ende helfen, die 200 Millionen Euro nachträglich einzutreiben. Klingt absurd, ist aber denkbar in diesem ohnehin grotesken Wirtschaftskrimi.

Der Patentanwalt hat, als er Anfang Mai verhaftet wurde, beim Amtsgericht München einige Stunden lang ausgesagt. Der frühere IRT-Angestellte schilderte, wie er im Auftrag seines früheren Arbeitgebers spezielle und immer wertvollere MPEG-Patente verwertete; nämlich über die italienische Rechtefirma Sisvel. Und wie man dabei auf Wunsch der IRT-Geschäftsführung die Patenterlöse aufgespalten habe. In einen Teil für die Erfindungen; und in einen anderen Teil für das Know-how, also für das Fachwissen des Technik-Instituts. Auf diese Weise seien die Erlöse für die Patente künstlich niedrig gehalten worden - und insofern auch die Ansprüche der Beschäftigten, sagte der Patentanwalt aus. Im Grunde genommen sei das Betrug an den Arbeitnehmererfindern gewesen.

Ob das stimmt, muss die Münchner Staatsanwaltschaft München I herausfinden. Die ermittelt gegen den Patentanwalt wegen Veruntreuung von IRT-Vermögen und weiterer angeblicher Delikte. Unabhängig von dem Schaden, den das Institut durch diese Taten offenbar erlitten hat, ist eines nämlich sicher: Beim weltweiten Verkauf der MPEG-Patente kassierte das Technik-Institut spätestens ab 2003 in der Tat zweierlei Erlöse: für Patente und für Know-how. So steht das in Ermittlungsunterlagen. Der Know-how-Anteil machte von 2003 bis 2006 zwei Millionen Euro aus und sollte anschließend steigen. Doch dann wurde vorübergehend alles in einer Summe pauschal verrechnet, ehe es ab 2009 zu einer neuerlichen Aufspaltung kam. In Zahlungen für Patente sowie für "Cooperation Work", für die Zusammenarbeit also. Für Cooperation Work sollen fast fünf Millionen Euro geflossen sein.

Der Bayerische Rundfunk (BR), der sich für die ARD und die weiteren Gesellschafter des Technik-Instituts um den Kriminalfall kümmert, äußert sich dazu wegen der laufenden Ermittlungen nicht im Detail. Hinzu kommt: Die Aussage des Patentanwalts bei Gericht kenne man nicht, sagt BR-Justitiar Albrecht Hesse. Er verspricht schonungslose Aufklärung. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass es sich um Vorgänge handle, "die Jahre und teilweise Jahrzehnte zurückliegen". Die IRT-Gesellschafter haben eine eigene Ermittlergruppe eingesetzt, die bei dem Institut jedes Blatt Papier umdreht, jede Datei filzt und jede Zahl prüft. Alles, was mit den Patenterlösen zu tun hat, wird untersucht. Unliebsame Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Sollten die eigenen Beschäftigten, die Erfinder, wirklich betrogen worden sein, dann um einen Millionenbetrag. Früher gingen 50 Prozent der Patenterlöse an die Mitarbeiter, später 25 Prozent.

Sollten sich dieser Vorwurf erhärten, könnte das Institut möglicherweise seinen MPEG-Vertrag mit dem italienischen Rechteverwerter Sisvel annullieren. Jenen Vertrag, den der Patentanwalt ausgehandelt hat. Um sich anschließend 200 Millionen Euro, die dem IRT zugestanden hätten, mit Sisvel zu teilen. Der Patentanwalt hat seiner Aussage beim Amtsgericht zufolge bereits 30 Millionen Euro Schadenersatz angeboten. Sisvel hingegen bestreitet Verfahrensbeteiligten zufolge jedes Fehlverhalten. Die italienische Firma hilft Medienunternehmen aus vielen Ländern, ihre Erfindungen gut zu verkaufen. Das reicht bis zur BBC und eben zum IRT.

In den Rundfunkanstalten, die das Technik-Institut betreiben, wird bereits auf Paragraf 117 des Bürgerlichen Gesetzbuches verwiesen. Der besagt, dass ein "Scheingeschäft" nichtig ist. Eine künstliche Aufspaltung der Patenterlöse zulasten der Beschäftigten wäre vermutlich ein solches Geschäft. Dann könnte der Vertrag mit Sisvel hinfällig sein, und die Patenterlöse müssten neu verteilt werden. Das wäre eine tolle Sache für die Rundfunkanstalten. Denn deren Vorwurf, man sei vom eigenen Patentanwalt hereingelegt worden und habe erst Ende 2016 von hohen MPEG-Erlösen erfahren, muss erst noch belegt werden.

Das IRT soll in den Jahren zuvor wiederholt Hinweise auf hohe MPEG-Einnahmen von Sisvel erhalten, aber nichts unternommen haben, um mehr davon abzubekommen. War die Chefetage des Instituts so damit beschäftigt, die eigene Belegschaft auszutricksen, dass sie nicht gemerkt haben, was ihnen an Patenterlösen offenbar entgangen ist? Dann hätte sich die Technik-Tochter von ARD und ZDF selbst ausgetrickst. Die Ermittler haben viel zu tun, bis Klarheit herrscht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3546685
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.06.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.