Süddeutsche Zeitung

Gregor Gysi im Interview:Gysi über Böhmermann: "Habe ihm gesagt, dass ich das Gedicht unmöglich finde"

Lesezeit: 2 min

Der Politiker ist Gast in Jan Böhmermanns erster Sendung nach der Erdoğan-Affäre. Er kritisiert und verteidigt den Satiriker zugleich.

Interview von Cornelius Pollmer

Weil Gregor Gysi der erste Gast von Jan Böhmermann bei dessen TV-Rückkehr ist, wollen alle mit ihm reden. Gysi sieht darin sogar Parallelen zum Leben.

SZ: Herr Gysi, in der ersten Sendung von Jan Böhmermann nach dem Erdoğan-Wahnsinn sind Sie zu Gast, ein obrigkeitsfrecher Jurist. Das kann kein Zufall sein.

Gregor Gysi: Es ist leider ein völliger Zufall, denn ich hatte ihm schon vor Wochen zugesagt, als es den ganzen Vorfall noch gar nicht gegeben hatte. Ich sah jetzt aber auch keinen Grund, nicht hinzugehen.

War es ein für Sie seltsamer Besuch, weil neben Böhmermann gegenwärtig nur Nebenrollen zur Verfügung stehen?

Es war schon ein bisschen komisch, aber nicht wegen der Nebenrolle, sondern weil ich gerne auch über sein Gedicht sprechen wollte. Wollte er aber weniger, habe ich aber trotzdem gemacht.

Wie?

Ich habe ihm gesagt, dass ich das Gedicht unmöglich finde, weil es alle Vorurteile bedient, wenn man das Wort "Erdoğan" mal durch "Muslim" oder "Türke" ersetzt. Ich habe gesagt, dass die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit unbedingt zu schützen ist. Und drittens, Erdoğan ist nicht souverän. Ich bin auch schon mal beleidigt worden, aber da habe ich keinen Strafverfolgungsantrag gestellt. Das heißt aber nicht, dass mich jetzt alle beleidigen sollen!

Wenn Böhmermann Ihr Mandant wäre, was würden Sie ihm raten?

Ich habe ihm gesagt: Wenn ich Ihr Anwalt wäre, ich würde Ihnen die Leviten lesen - und nach außen ganz klar Ihren begründeten Freispruch fordern.

Bei der Aufzeichnung gab es Taschenkontrollen und Polizeischutz. Eher schwierige Bedingungen für eine lustige Sendung.

Ach, das habe ich alles gar nicht mitgekriegt, meine Taschen wurden jedenfalls nicht kontrolliert. Für mich war nur einer vom BKA dabei. Und im Publikum war wirklich gute Stimmung, die jungen Leute haben gefeiert!

Sie sind nicht gerade selten im Fernsehen. Ist Ihnen ein Auftritt in Erinnerung, der so viel Interesse nach sich gezogen hätte?

Eher nicht, und der Witz ist, dass es ja keine Sendung ist, die bislang von staatspolitischer Bedeutung gewesen wäre.

Vermutlich sind wir mit diesem Gespräch schon mitten in dem Meta-Irrgarten angekommen, den Jan Böhmermann zumindest angelegt hat.

Es ist wirklich verrückt. Heute interessieren sich alle Medien für mich, also eigentlich ja nicht für mich, sondern für Böhmermann. Das Leben läuft ja immer anders, als man denkt.

Wie meinen Sie das?

Mal denkst du, etwas ist wichtig, und dann interessiert es keinen. Oder es ist genau andersherum, weil sich ein Zusammenhang geändert hat. Aber ich finde das witzig, es gibt eben immer wieder Überraschungen.

Nun dürfen sich aber alle auch gerne ein bisschen entspannen, oder?

Man muss da ein bisschen runterkommen, ja. Wir wissen, dass die Kunstfreiheit ein hohes Gut ist, und wir müssen jetzt ein paar Uralt-Paragraphen mal überprüfen, die glaube ich gar nicht mehr der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgen. Wissen Sie, manchmal muss so etwas passieren wie nun mit Böhmermann, damit man merkt, welcher Kokolores immer noch im Gesetz steht.

Zum Beispiel?

Ich verstehe nicht, dass jemand härter bestraft werden soll, wenn er ein Staatsoberhaupt beleidigt, als wenn er Sie oder mich oder Frau Erdoğan beleidigt, falls es eine Frau Erdoğan gibt. Oh, das geht jetzt vielleicht schon wieder zu weit, oder?

Ach, das nehmen wir genau so mit.

Ja, und was mich auch stört: Die Bundesregierung kritisiert Erdoğans menschenrechtsverletzende Politik viel zu wenig, und wenn sie zu Recht glaubt, die Beleidigung nach Paragraf 103 ist falsch, dann muss sie die Streichung des Paragrafen im Bundestag unterstützen - und zwar sofort und nicht erst, wenn noch einer danach verurteilt worden ist. Wenn der Bundestag ihn aber abschafft, kann Böhmermann gar nicht mehr danach bestraft werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2991395
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.05.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.