Süddeutsche Zeitung

US-Serie "The Good Fight":Das Hillary-Experiment

Lesezeit: 3 min

Die vierte Staffel der Anwaltsserie "The Good Fight" spielt in einem Paralleluniversum mit Hillary Clinton als US-Präsidentin. Ist dort wirklich alles besser?

Von Meredith Haaf

Zu den beliebtesten Was-wäre-wenn-Szenarien der von den Verwerfungen und Rechtsbrüchen der Trump-Regierung erschöpften Liberalen Amerikas gehört, was sonst, die Hillary-Fantasie. Wie wäre die Welt, wäre nicht Donald Trump, sondern die erste Präsidentin ins Weiße Haus gewählt worden? Die Premiere der vierten Staffel von The Good Fight lässt ihre Hauptfigur Diane Lockhart einen ganzen surrealen Serientag lang erleben, was die Antwort darauf in etwa sein könnte. Kurz gesagt lautet sie: anders, aber vielleicht gar nicht so viel besser.

Lockhart ist seit vielen Jahren eine der scharfsinnigsten und reizvolleren Figuren im amerikanischen Fernsehen. Ursprünglich eine wichtige Nebenfigur in The Good Wife, jener Anwaltsserie, die sich um das Schicksal einer betrogenen Skandalpolitiker-Gattin drehte, bekam Darstellerin Christine Baranski mit The Good Fight ihr eigenes Spin-off. Darin wird die wohlhabende, stets perfekt gestylte, über 60-jährige weiße Topjuristin nach einem finanziellen Fiasko in einer überwiegend afroamerikanischen Großkanzlei angestellt und schließlich zur Partnerin gemacht. The Good Fight nutzt diese Voraussetzungen, um weiße und überwiegend schwarze Protagonisten in allen möglichen Rollen und Konstellationen zu zeigen, ohne dabei jemals über real existierende Konflikte und Barrieren hinwegzuwischen, die mit diesem Miteinander einhergehen. Immer wieder diskutieren die Anwälte offen über Diskriminierung, spielen aber auch mit Privilegien und Vorurteilen: "Du bist ein schwarzer, konservativer Richter", beruhigt eine Richterin ihren Kollegen, "So einen wie dich will niemand loswerden."

Die Autoren der Serie arbeiten mit höchster Genauigkeit: Jede noch so kleine Nebenfigur hat ihre eigene Komplexität; man taucht ein in diese beiläufige Diversität, um durch kleine Dialogdetails immer wieder darauf gestoßen zu werden, wie fragil diese Beiläufigkeit ist, etwa, wenn ein weißer Anwalt seine schwarze Kollegin belehrt: "Ihr Leute wisst nie, wann es auch mal gut ist", und sie zurückschießt: "Und mit ihr Leute meinst du Afroamerikaner im Allgemeinen, Frauen im Allgemeinen oder afroamerikanische Frauen, mit denen du arbeiten musst, im Allgemeinen?" Und dann drehen sie sich voneinander weg und widmen sich gemeinsam ihrer Mandantin.

Neben ihren Kanzleipartern Boseman und Lawrence ist Lockhart das moralisch alerte, politisch bewusste Zentrum der Serie. Sie hat sich dem Einsatz für kleine Mandanten verschrieben, die sich ihre Dienste eigentlich nicht leisten können, und kämpft vor Gericht am liebsten gegen große Gegner. Seit drei Staffeln gehört zu ihren hervorstechenden Merkmalen, von den Machtverhältnissen in ihrem Land persönlich zutiefst gebeutelt zu sein und diese in ihren Fällen vor Gericht immer wieder aufzuspießen. Doch dann werden ihr in der Staffelpremiere Bilder einer Amtseinführung von Clinton gezeigt; Präsidentin Clinton, die vor dem Kongress spricht, Präsidentin Clinton, die nach Europa fliegt. Mit großen Augen und einem zunächst breiten Grinsen wandelt Lockhart durch eine Gegenwart, in der alle vergleichsweise entspannt sind.

Hillary ist Präsidentin, aber Harvey Weinstein sitzt nicht im Knast

Das größte politische Ärgernis in dieser Parallelrealität ist eine kleine Berateraffäre im Weißen Haus, die Frauen sind nicht von chronischer politischer Wut erfüllt, sondern recht selbstgefällig und machtverliebt. Doch dann muss Lockhart feststellen, dass Harvey Weinstein nicht als mehrfach verurteilter Vergewaltiger eine Gefängnisstrafe absitzt, sondern als einer der wichtigsten Hollywood-Unterstützer und guter Freund der Clintons besondere Privilegien genießt, unter anderem Lockharts Anwaltsmandat. Als sie ihre Kanzleipartner davor warnt, Weinstein zu vertreten, reagieren die mit einer Machtgeste. In einer Welt, in der Hillary regiert, braucht niemand wirklich eine Diane Lockhart.

Die dramaturgische Zwiebeltaktik, mit der die Macher von The Good Fight ihre Zuschauer erst in eine hoffnungsschwangere Spekulationsorgie ziehen und ihnen dann Schritt für Schritt eine nicht schmerzlose Lektion in politischer Demut erteilen, ist typisch für diese Serie. Die hat wiederum sehr wenig mit einer typischen Anwaltsserie zu tun, auch wenn ihre Protagonisten sich fast ausschließlich in Kanzleiräumen und an Gerichten aufhalten und dabei fast durchgehend Fragen von Fairness, Machtausübung, Kontrolle und Gerechtigkeit verhandeln (und ab und zu erotische Verführungsmanöver erproben). Gelegentlich erliegt das Drehbuch der klassischen Gerichtssaal-Serien-Problematik, fundamentale Entwicklungen im Zeitraffer zu erzählen. Die Taktung von "ein Fall pro Folge", der das formal konventionellere The Good Wife folgte, ist hier teilweise aufgehoben. Es gibt aber immer noch ein Problem, das pro Folge aufgeworfen und irgendwie gelöst wird.

Was tun, wenn der Gegner sich nicht an die Kampfregeln hält?

Diane Lockhart wiederum verfolgt einen Fall, der sie immer tiefer in ein sinistres Nest von Korruption und völliger Missachtung der Grundsätze des Rechts führt - mitten in ihrem geliebten Rechtssystem, und möglicherweise in ihrer eigenen Kanzlei. "Wir müssen uns alle an das Gesetz halten, sonst funktioniert das System nicht", fleht sie irgendwann. Und formuliert damit das Problem, mit dem sich Bürger, Bürgerrechtsaktivisten und Demokraten in den USA, aber nicht nur dort, immer häufiger konfrontiert sehen: Was tun mit einem Gegner, der sich an keine einzige Kampfregel hält? Wie die Funktionsfähigkeit eines Miteinanders erhalten, wenn immer mehr Menschen es zu einem "Ich zuerst" umdeuten?

Weil die Staffel wegen der Corona-Krise nicht zu Ende gedreht werden konnte, endet sie leider etwas abrupt und nur mit einer halben Lösung. Dass es bei der bleibt, ist nicht zu erwarten. Eine fünfte und hoffentlich vollständige Staffel ist bereits angekündigt.

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