Süddeutsche Zeitung

Pressefreiheit in Bulgarien:Runter auf Platz 111

Lesezeit: 4 min

Um die Freiheit der Medien in Bulgarien ist es nicht gut bestellt, auch nicht im internationalen Vergleich. Der neue Chef des öffentlich-rechtlichen Radios warf gerade frustriert das Handtuch.

Von Cathrin Kahlweit

Es war eigentlich eine richtig gute Show: Erst gab er im eigenen Sender eine Erklärung ab. Er sei darüber empört, sagte Andon Baltakow, Generaldirektor des Bulgarischen Nationalen Radios (BGR) am 21. Oktober mit bebender Stimme, dass die Regierung sich weigere, eine Garantie für die Unabhängigkeit eines freien, öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzugeben. Seine Pläne für den Sender würden manipuliert, sein Konzept untergraben.

Dann kündigte er seinen Rücktritt an - nur knapp zehn Monate, nachdem er aus den USA zurückgekehrt war, wo er zuerst in Yale studiert hatte und danach eine steile journalistische Karriere bei AP und CNN hinlegte. Nach diesem Eklat trat Baltakow im Privatfernsehen auf und erklärte erneut, damit es auch jeder Bulgare mitbekam, dass er den Job hinschmeiße, weil die konservativ-nationalistische Regierung unter Premier Bojko Borissow ihre Versprechen breche und die Einflussnahme auf den Sender zu groß sei. Und dann buchte er ein Rückflugticket in die USA für den 30. Oktober, was er auch jedem mitteilte, der es wissen wollte.

Hintergrund für Baltakows Auftritte war, dass das bulgarische Kultusministerium zentrale Passagen aus einem neuen Rundfunk- und TV-Gesetz strich, das den öffentlich-rechtlichen Medien unter anderem eine stabilere, vom Wohlwollen der Regierung unabhängige Finanzierung und ein politisch unabhängiges Management verschaffen sollte. Es war die Gesetzesreform gewesen, die Baltakow im Januar zur Bedingung für die Übernahme des Jobs gemacht hatte. Er stellte dem staatlichen Rat für elektronische Medien (SEM), der ihn nach längerem Streit im Sender schließlich widerstrebend berufen hatte, ein Ultimatum: entweder die gestrichenen Paragrafen kommen wieder rein oder er ist weg. Bei einem Treffen mit dem Kultusminister vor einer Woche soll es zeitweilig sehr laut geworden sein; der Minister, sagt Baltakow, habe ihn angebrüllt, er sei nicht "der Chef der öffentlichen Meinung".

Er sei "geschockt" gewesen, so Baltakow , als er zwei Tage vor seinem geplanten Rückflug in die USA und einen Tag vor einer Mitarbeiterversammlung in seinem Büro mit der SZ sprach. "Ich dachte, Bulgarien öffnet sich langsam, die Medienwelt wird transparenter. Weil die Pressefreiheit so unter Druck ist und die meisten Medien regierungsfreundlich berichten, hatte ich gehofft, mit meiner Berufung wolle man ein Zeichen setzen." Er habe sich geirrt. Die Teil-Rücknahme des Gesetzes sei eine "Attacke auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk". Er aber sei nicht manipulierbar, und die gebrochenen Versprechen, die parteipolitischen Interventionen gingen gegen seine Ehre.

Damit ist die Geschichte von Andon Baltakow und dem Nationalradio allerdings noch nicht zuende erzählt. Um die Dramatik zu verstehen, muss man wissen, wie es um die Lage der Medienfreiheit in dem kleinen Balkanland bestellt ist: katastrophal schlecht. Vor zehn Jahren stand Bulgarien, was die Pressefreiheit angeht, noch auf Platz 70 von 178 Ländern, mittlerweile ist es auf Platz 111 und damit auf den letzten Platz in der EU abgerutscht. Ausländische Investoren, die nach der Wende in die bulgarische Medienlandschaft eingestiegen waren, haben sich längst wieder verabschiedet, nur einer ist hinzugekommen: der tschechische Medienkonzern "PPF" von Petr Kellner, der den großen Konzern "Central European Media Enterprises" (CME) mit Genehmigung der EU-Kommission kaufte - und damit mehr als 30 Fernsehkanäle mit etwa 45 Millionen Zuschauern in fünf osteuropäischen Ländern zu seinem Portfolio hinzufügte. Darunter sind auch die wichtigen Sender "bTV" und "Nova" in Bulgarien. Ein Gruppe europäischer Medienorganisationen schrieb daraufhin einen Brandbrief an Kellner, der auch starke Wirtschaftsinteressen in China hat, mit der glühenden Bitte, sich inhaltlich aus der Redaktionsarbeit herauszuhalten. Kellner hat das versprochen und scheint sich bisher auch weitgehend daran zu halten.

Problematisch aber ist der gesamte Rest. Der Großteil der Medien liegt in der Hand von bulgarischen Oligarchen, die wiederum gute Beziehungen zur Politik im allgemeinen und zur Regierung im Besonderen unterhalten. Schmutzkampagnen und Ermittlungsverfahren gegen kritische Journalisten sind an der Tagesordnung; staatliche Werbung, die überlebensnotwendig wäre für kleine Redaktionen, geht nur an regierungsnahe Blätter.

Insbesondere ein Mann zieht hier die Strippen: Laut dem Verband der Zeitungsverleger besitzt Deljan Peewski 80 Prozent des Zeitungsvertriebs und damit mehr als 1 000 Zeitungskioske in 130 Städten, 40 Prozent der Zeitungen, zahlreiche Radio- und TV-Anstalten sowie Webseiten. Nelli Ognjanowa, eine Professorin für Medienrecht an der Universität Sofia, sagte dem "International Press Institute" (IPI), die meisten Medien des Landes hätten es schlicht aufgegeben, sachlich und frei zu berichten. Desinformation sei vor allem in Zeitungen und auf Webseiten weit verbreitet, die das Imperium von Peewski kontolliere. Die Plattform des Europarats zum Schutz des Journalismus, das EU-Parlament in seiner jüngsten Erklärung zu Bulgarien, die EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatsbericht - sie alle zeigen sich äußerst alarmiert.

Andon Baltakow hätte also wissen können, dass er eine Mission impossible antrat, als er aus der Emigration nach Bulgarien zurückkehrte, weil er seiner Heimat "etwas zurückgeben möchte. Ich will nicht, dass junge Leute auswandern, weil sie in diesem korrupten Land keine Zukunft mehr sehen." Ob er aber wirklich nach dem Showdown das Handtuch werfen wollte, ist nicht so ganz klar. Vor wenigen Tagen, in seinem Büro, gab sich der scheidende Generalintendant des "BNR" noch deprimiert. Dauerproteste in der vergangenen Wochen gegen die Regierung und Oligarchen wie Peewski, die hinter ihr stehen, hätten zwar gezeigt, dass die Bulgaren genug hätten von einer Politik, die Medien nur als Mittel zum eigenen Zweck benutze. Aber es gehe zu wenig voran. Am Freitag dann hielt Baltakow ein "Town Hall Meeting" mit den etwa tausend Mitarbeitern des Senders ab. Danach sagte er der SZ: "Es gab überwältigende Unterstützung in einer sehr emotionalen Versammlung. Die Kollegen sagten, ich dürfe nicht wegrennen, sondern müsse kämpfen." Er wird also weitermachen. Das Flugticket hat er benutzt, um zu seiner Familie zu fliegen. Aber er fliegt auch wieder retour.

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