Süddeutsche Zeitung

Rolle der Medien beim Brexit:"Das Vertrauen in die Institutionen sinkt generell"

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Das Misstrauen gegenüber der Presse ist in Großbritannien so groß wie nirgendwo sonst, sagt Rasmus Nielsen von der Universität Oxford. Über das Berichten aus einem gespaltenen Land.

Interview von Thomas Hummel

Seit dem Amtsantritt von Boris Johnson als britischer Premierminister haben sich die Auseinandersetzungen rund um den Brexit in Großbritannien drastisch verschärft. Der Ton wird rauer, Bürger protestieren, die Lager scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen. Rasmus Kleis Nielsen, 38, Direktor des Reuters-Instituts für Journalismus an der Universität Oxford, beobachtet die Rolle der britischen Medien im Brexit-Streit.

SZ: Herr Nielsen, seit dreieinhalb Jahren zieht sich die Debatte um den Brexit hin. Welche Auswirkungen hat das auf die britische Medienlandschaft?

Rasmus Nielsen: Ein Effekt ist die Ermüdung der Zuschauer und Leser. Wir stellen fest, dass 35 Prozent der News-interessierten Bürger inzwischen aktiv versuchen, Nachrichtensendungen zu meiden. Als Hauptgründe geben sie an, dass sie die Berichterstattung zum Brexit depressiv mache und ihnen zu viel Kraft raube.

Liegt das nur an der politischen Lage, über die berichtet wird? Oder auch an den Medien?

Die politische Situation hat sich stark polarisiert. Einerseits hat dadurch das Ansehen der politischen Klasse in der Öffentlichkeit gelitten. Auf der anderen Seite sank aber auch das Vertrauen in die Medien eklatant ...

... wie in vielen Ländern.

Stimmt, das Phänomen findet sich natürlich auch in den USA oder zu einem gewissen Grad in Deutschland, wo man viele Medien als "Lügenpresse" verleumdet. Drei Faktoren sind dabei übrigens immer zu beobachten: eine polarisierte Politik, populistische Bewegungen und Politiker, die die Medien direkt attackieren. Aber die Lage in Großbritannien ist speziell.

Inwiefern?

Wir beobachten seit dem Brexit-Referendum einen so starken Vertrauensschwund in die Presse wie nirgendwo sonst. Dabei spielt natürlich auch die anhaltende politische Unsicherheit, die der Brexit provoziert, eine Rolle; das Vertrauen in die Institutionen sinkt generell.

Es dürfte aber auch an den Medien selbst liegen. Eine Studie kurz vor dem Brexit-Referendum 2016 besagte jedenfalls, dass die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen BBC über die Europäische Union in den Jahren zuvor zu 45 Prozent negativ war - und nur zu sieben Prozent positiv. Die EU sei schlechter dargestellt worden als etwa Wladimir Putin, Xi Jinping oder Bashar al-Assad.

Die stark EU-kritische Haltung in den britischen Medien hat eine lange Tradition und begann zuerst in den großen Zeitungshäusern. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass sich in Großbritannien lange Zeit nur eine Minderheit der Bürger für das Verhältnis zur EU interessiert hat. Diese Minderheit stellte aber die Mehrheit der Zeitungsleser, also reagierten die Zeitungen darauf und legten sich klare Haltungen zur EU zu. Zu dieser Zeit gaben sich einige Politiker im Land ein klares Profil als EU-Kritiker. Das generierte viel Aufmerksamkeit und war erfolgreich, sowohl für die Politiker als auch für die Zeitungen. EU-Freunde hingegen agierten zurückhaltend und eher leise. So entstand eine extrem asymmetrische Debatte, die dann auch auf die BBC abstrahlte.

Seit Boris Johnsons Team die Regierung übernommen hat, ist die Atmosphäre noch hitziger geworden. In den Medien spiegelt sich das in teils heftigen Kommentaren in beide Richtungen wider. Eskaliert hier gerade der Ton?

Der Ton wird vor allem von den politischen Akteuren angefacht. Wir befinden uns an einem kritischen Punkt in der britischen Politik und die Wortwahl reflektiert das. Boris Johnsons Sprache ist sehr konfrontativ und aggressiv. Die regelmäßige Nutzung militärischer Ausdrücke wie "Kampf" oder "Krieg" ist schon speziell. Auf der anderen Seite wird auch Johnson persönlich hart angegangen. Ebenso seine politische Agenda.

Gibt es in den Medien eine Diskussion darüber, wie man mit verschärften Tonlage umgehen soll?

Journalisten debattieren darüber sehr lebhaft, vor allem auf Twitter. Ich bin aber absolut sicher, dass die breite Öffentlichkeit in Großbritannien davon nichts mitbekommt.

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