Süddeutsche Zeitung

Arte-Doku über Angela Merkel:Mehr ging nicht

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Die Raute und die strategische Geduld: Eine bisweilen allzu respektvolle Bilanz der Merkel-Jahre.

Von Johan Schloemann

Hat die Zeit der Merkel-Nostalgie jetzt schon begonnen? Bereits beim Abschied der langjährigen Bundeskanzlerin im Dezember legte sich eine große Versöhnlichkeit über all die Rückblicke auf ihre sechzehn Jahre lange Regierungszeit. Obwohl diese Jahre aus viel besonnenem Krisenmanagement, aber wenig Gestaltung bestanden hatten.

Und so ist nun auch der aufwendige bilanzierende Dokumentarfilm "Angela Merkel. Im Lauf der Zeit", den Torsten Körner für Arte und den MDR gedreht hat. Selbst schärfere grundsätzliche oder handwerkliche Kritik, wie sie die Klimaaktivistin Lisa Neubauer oder der SZ-Kollege Nico Fried äußern, wird in diesem Film in ein sehr mildes Licht getaucht. Und regelrechte Gegner Merkels kommen gar nicht erst zu Wort.

Trotz der hagiografischen Tendenz lohnt es sich aber sehr, den Film zu sehen: als eine Studie über den Umgang mit Zeit in der Politik. Entscheidungsdruck traf in Merkels Amtszeit immer wieder auf ihren Anspruch, dass sie alles "gut durchdenken" müsse, wie es die Virologin Melanie Brinkmann hier als Zeitzeugin beschreibt. In einem älteren Interview wurde Merkel einmal gefragt, was sie denn am Leben in der DDR am meisten vermisse. Ihre überaus prompte Antwort war: "Zeit. Wir hatten eigentlich immer sehr viel Zeit."

Davon möglichst viel zu retten in die globalisierte Liveticker-Welt, das wird zum Leitmotiv. "Sie kann warten", hebt Merkels Porträtistin Herlinde Koelbl hervor. Sie sei "bedachtsam" und "geduldig", stellt auch Barack Obama fest, der wieder so schön Aangg-ella sagt, dass es eine Freude ist. Weggefährtin Ursula von der Leyen spricht von "strategischer Geduld".

Diese Eigenschaften halfen Merkel, wie der Film in eindrucksvollen Bildern zeigt: etwa auf ihrem aus Sicht der alten Bundesrepublik (und ihrer Männer) unwahrscheinlichen Weg zur Macht. Oder auch in der Finanzkrise: Da leitete sie, so erzählt Merkel im Rückblick, ihr Unwille, sich von "den Märkten" treiben zu lassen (obwohl nach dem Eindruck vieler genau dies geschah). Eisern unbestechlich auch ihre Nüchternheit gegenüber Herrschaftssymbolik: "Die Raute bedeutet nichts." So wurde Angela Merkel zum internationalen Stabilitätsfaktor, zum Glücksfall in der Trump-Ära.

Ihr Zögern war oft wohltuend, richtete aber auch Schaden an

Die abwartende Rationalität, mit der sie Politik trieb, hatte aber auch ihren Preis. Zunächst im Auftreten ihrer Persönlichkeit, in dem sie ihre private Impulsivität fast immer verborgen hielt - was ihr Freund Ulrich Matthes, der Schauspieler, beklagt, der selber seine Impulsivität mitnichten verbirgt. Das Zögern konnte aber auch größeren Schaden anrichten. So geschah es in der Corona-Politik, wo es ihr als lame duck am Ende der Amtszeit nicht gelang, sich gegen die Ministerpräsidenten durchzusetzen. Mitunter "verzweifelt" sei sie damals gewesen, berichtet Merkel jetzt. Dass sie mit Bundesgesetzen früher hätte durchgreifen können, kam zu spät in den Sinn. Und die desaströse Bilanz beim deutschen Ausstoß von Kohlendioxid kommentiert Angela Merkel, die als Umweltpolitikerin begonnen hatte, letztlich mit einem bedauernden Achselzucken. Mehr ging nicht.

Da macht dieser respektvolle Film - bei aller berechtigten Bewunderung für ihren Lebensweg und für ihren selbstbestimmten Abgang - auch ein bisschen traurig: Er zeigt eine Getriebene, die es partout nicht sein wollte.

Angela Merkel - Im Lauf der Zeit , Arte, 22. Februar, 20.15 Uhr, und ARD, 27. Februar, 21.45 Uhr.

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