Süddeutsche Zeitung

Serie: Meine Leidenschaft:"Einmal aus dem All auf die Erde schauen, das würde ich auch gern!"

Lesezeit: 6 min

Völlig losgelöst von der Erde: Der Sänger Peter Schilling hat mit dem Song "Major Tom" Karriere gemacht, der Weltraum fasziniert ihn bereits seit seiner Kindheit. Eine Begegnung im Planetarium.

Von Mareen Linnartz

Gleich wird es dunkel. Peter Schilling, schwarzes Käppi, schwarze Weste, schwarze Hose, öffnet die Tür und setzt seine getönte Brille ab. Er hat etwas Drahtiges, Beschwingtes an sich, einen federnden Gang. Hinter der Tür spannt sich nun ein Himmelszelt auf. Ein künstliches zwar, das schon, aber ein wunderschönes. Tiefes Dunkelblau, dazwischen hell leuchtende Sterne, nein, natürlich: leuchtende Punkte. Willkommen im "Science Dome", einem Planetarium der Experimenta in Heilbronn, laut Eigenwerbung "Deutschlands größtes Science Center", ein Ort, den Schilling immer wieder besucht.

Es ist eine Simulation, aber eine ziemlich gute. Sofort fühlt man sich, als stehe man unter dem Firmament, über einem die Milchstraße, der Große Bär oder das Sternbild der Kassiopeia. Vorher im hellen Licht der Museumsausstellung hatte Schilling auf silbergrauen Polstermöbeln gesessen, die passend zum Thema etwas leicht Spaciges hatten, und davon erzählt, wie gerne er sich in den Weiten des Weltraums verliert. Nichts schöner, als nachts in den Himmel zu schauen - "wenn es die Lichtverschmutzung zulässt". Welche Gedanken ihm dann so kommen? Eine gefährliche Frage, die leicht zu kalenderspruchartigen Antworten verleiten könnte, in denen dann von "Demut" oder "Wir sind nur ein Sandkorn" die Rede ist. Peter Schilling aber sagt recht nüchtern: "Ich schaue mir die Sterne an und denke: Euch gibt es schon nicht mehr. Ich weiß nicht, vor wie vielen Jahren das Licht hierher geschickt wurde, aber jetzt habe ich das Glück, dass das Photon meine Netzhaut erreicht: Wow!"

Vor 40 Jahren, also einer halben Ewigkeit, startete der Sänger seine Karriere, die, das lässt sich tatsächlich sagen, abging wie eine Rakete. Plötzlich war er überall - blickte einen vom Bravo-Cover an, tänzelte die ZDF-Hitparaden-Treppe hinunter, umklammerte bei "Menschen '83" fest sein Mikrofon. Und dann sang er mit weit aufgeknöpftem weißen Hemd, weichen braunen Locken und durchdringendem Blick von ihm: von "Major Tom", einem Astronauten, der sich "völlig losgelöst von der Erde" im Weltall verliert und den "ein Licht durch das All" führt, "das kennt ihr noch nicht, ich komme bald, mir wird kalt". Wer damals jung war und nun nicht augenblicklich das Lied im Ohr hat, muss auf einem anderen Planeten gelebt haben. Es war die Zeit der "Neuen Deutschen Welle", und Peter Schilling, ein musikalisch begabter, aber bis dahin vollkommen unbekannter gelernter Reiseverkehrskaufmann, 27 Jahre jung, schwamm ganz oben mit.

Eigentlich heißt er Pierre mit Vornamen, seinen Vater, einen Iraner, hat er nie wirklich kennengelernt, seine Mutter war schwer depressiv, alkoholabhängig, gewalttätig. Das klackernden Geräusch eines Schlüsselbundes, hat er einmal erzählt, lässt ihn immer noch zusammenzucken. Das hörte er als Kind, wenn seine Mutter nach Hause kam und er nicht wusste, in welchem Zustand sie jetzt sein würde. Als Schilling zwölf Jahre alt war, versuchte sie sich mit Schlaftabletten umzubringen; Schilling lebte danach bei seiner Oma, wo er so etwas wie ein Zuhause und Halt fand. Spricht er von ihr, dann mit großer Wärme, augenblicklich verfällt er in tiefstes Schwäbisch, ihren Dialekt.

Vielleicht erklärt sich seine Faszination für den Weltraum auch mit einer frühen Sehnsucht, sich mit einer maximal weit von der eigenen Lebensrealität entfernten Wirklichkeit beschäftigen zu wollen. Denn er hatte diese Faszination schon als Junge. Er versuchte, die ganze Nacht aufzubleiben, um die Mondlandung 1969 verfolgen zu können, und schlief dann doch ein, da war er 13. Sah später Kubricks "Odyssee im Weltraum", ein mit metaphysischer Bedeutung aufgeladenes Film-Epos, das ihn für immer veränderte: "Ich bin als anderer Mensch rausgekommen, als ich reingegangen bin". Und so waren Technik, Fortschritt, Zukunft und nicht Liebe, Sehnsucht, Romantik die Themen der Lieder auf seiner ersten Platte "Fehler im System", auf der auch "Major Tom" abhob. Mit aus heutiger Sicht erstaunlich aktuellen Songzeilen. In "Die Wüste lebt" textete er: "Nach vielen tausend Jahren hat die Erde nun den Menschen satt. Sie gibt die Atmosphäre auf und schaltet den Computer aus."

Über "Major Tom", dessen Jubiläum er in diesem Jahr auch mit einer neuen Platte, "Coming Home - 40 Years of Major Tom", feiert, sagt er: "Es gibt nicht viele solcher Songs." Der Titel ist eine Reminiszenz an David Bowie, der einen Astronauten mit dem Namen Major Tom erfand und ihn unter anderem in "Space Oddity" besang. Schillings Version wurde unzählige Mal gecovert, sie war der Titelsong der Serie "Deutschland '83", tauchte in der amerikanischen Serie "Breaking Bad" auf - und war die Begleitmusik zum Trailer des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt für die Weltraummission von Alexander Gerst. Der, erzählt jetzt ein Mitarbeiter der Experimenta unter dem virtuellen Sternenzelt, habe bei einem Besuch hier in Heilbronn erzählt, er habe sich bei seinem ersten Weltraumspaziergang waagrecht aus der Luke herausschieben lassen müssen. Warum? "In der Schwerelosigkeit sendet das Gehirn das Signal: Achtung, du fällst! Auch wenn es nicht so ist. Es ist sehr schwer, das Gehirn zu überlisten und selbst einen Schritt aus dem Raumschiff heraus zu machen."

Ein Weltraumspaziergang ist in Wirklichkeit eine echte Mutprobe

Peter Schilling nickt zustimmend, eingetaucht im bläulichen Licht der künstlichen Szenerie, er weiß das alles natürlich längst. Er hat häufig mit Astronauten zu tun, sie besuchen ihn backstage oder schreiben ihm, weil ihnen gefällt, wie er in "Major Tom" den Übergang von der Erdanziehung zur Schwerelosigkeit besingt, diesen speziellen Zustand, den ja nur wenige Menschen je erlebt haben. Bei dem Weltraumfahrer Matthias Maurer trat er auf dessen Welcome-back-Party auf. Mit diesem Weltall-Hintergrundwissen ist es ihm geradezu ein Rätsel, wie es immer noch "Weltraumspaziergang" heißen kann. Klar, die Astronauten schweben schwerelos über der Erde, aber, er schaut leicht empört: "Das ist eine Mutprobe! Der menschliche Reflex ist ja: Ich falle herunter. Was für eine mentale Leistung, den Schritt dann doch zu machen. Es sieht so leicht aus und ist doch so schwer." Schilling schaut kurz nach oben zu den leuchtenden Kunst-Sternen, als käme von dort noch eine Inspiration. "Das ist wie im echten Leben: Je leichter es aussieht, desto schwerer ist es. Nehmen Sie eine Ballerina, die federleicht tanzt und doch so hart trainieren muss. Oder das Komponieren eines guten Songs. Komplizierte Songs, die keiner versteht - das kann jeder."

Er verlässt jetzt das künstliche Sternenzelt, setzt seine Brille wieder auf, rückt das Käppi zurecht, federt weiter. 67 Jahre ist er inzwischen alt, sein Leben hatte viele Höhen und einige Tiefen. Nach dem ungeheuren Erfolg von "Major Tom" geht er in die USA, von Stuttgart nach New York, wird dort, wie er es einmal nannte, "zum Wirtschaftsfaktor", vertraut den Falschen, verliert viel Geld. Und bricht, zurück in Europa, am Wörthersee stark abgemagert zusammen. Er bekommt keine Luft mehr, hat eine Nahtoderfahrung. Danach verdingt er sich auf Ü30-Partys und in Kaufhäusern, schreibt Bücher, "Völlig losgelöst: Mein langer Weg zum Selbstwert - vom Burnout zurück ins Leben" und "Emotionen sind männlich."

Die Gabe, zu staunen über das so schwer zu begreifende All, hat ihn nie verlassen. Mit geradezu kindlicher Begeisterung kann er erzählen, wie er manchmal abends auf Youtube Videos von Weltraummissionen anschaut, diese Weite, diese Tiefe, diese Unendlichkeit. Einmal selbst Major Tom sein, einmal aus dem All auf die Erde schauen: "Das würde ich sehr gerne einmal machen."

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände hat Peter Schilling beim Sternegucken gern in seiner Nähe:

Das Abzeichen

"Dieses Abzeichen ist mir heilig. Es liegt normalerweise auf meinem Schreibtisch im Studio. Ich sehe es beim Arbeiten, unterbewusst ist es immer da. Es ist für mich eine Art Glücksbringer, ja, doch, das kann man sagen. Geschenkt bekommen habe ich es vom Astronauten Gerhard Thiele, darauf sind die Namen der Astronauten gestickt, die mit ihm im Weltraum waren. Die Sterne stehen für ihre Kinder. Das Abzeichen war im Weltall. Das war da oben. Unglaublich oder?"

Die Mini-Figur "Major Tom"

"Das ist ein Bild einer Mini-Major-Tom-Figur. Das Original liegt in einem Safe des Tessloff-Verlags, mit dem ich für die "Der kleine Major Tom"-Kinderbuchreihe zusammenarbeite und die die Figur anfertigen haben lassen. Auch sie war schon zweimal im Weltall, einmal bei der Horizons-Mission, einmal auf der Cosmic-Kiss-Mission. Es war gar nicht so einfach, diesen kleinen "Major Tom" herzustellen. Der muss allen Kriterien der Raumfahrt entsprechen. Darf keine scharfen Kanten, keine brennbaren Stoffe haben. Ich habe den Herstellungsprozess ein bisschen verfolgt, ich fand das sehr beeindruckend, was da alles an Know-how drinnen ist. Sie ist vielleicht 10, 15 Zentimeter groß, ist relativ hart und leicht."

Die Schallplatte

"Das Cover-Shooting war in einem Club in Hannover, den gibt es heute noch. Unverkennbar 80er-Jahre: weißes Hemd, weit aufgeknöpft, wobei heute trägt man das ja auch wieder so, Harry Styles etwa. Es war eher eine improvisierte Session. Insgesamt haben wir seitdem weit über sechs Millionen Tonträger verkauft, ich habe viele Gold- und Platin-Auszeichnungen aus aller Welt, das ist nicht schlecht. Von der Platte selbst habe ich, glaube ich, noch drei Stück zu Hause."

Tischtennis mit Günter Wallraff , Schwimmen mit Ulrike Folkerts , Surfen mit Maximilian Brückner : Weitere Folgen von " Meine Leidenschaft " finden Sie hier .

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