Süddeutsche Zeitung

Friedensnobelpreis-Verleihung vor 50 Jahren:Ein großes Glück

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Vor 50 Jahren erhielt Bundeskanzler Willy Brandt in Oslo den Friedensnobelpreis - selten hatte diese Auszeichnung eine stärkere Bedeutung.

Von Christian Mayer

Es war eine emotionale Rückkehr in das Land, das ihm in der Zeit des Nationalsozialismus Zuflucht geboten hatte und ihn jetzt feierte. Tief bewegt nahm Willy Brandt am 10. Dezember 1971 in Oslo den Friedensnobelpreis entgegen, ausgerechnet aus den Händen einer ehemaligen Mitstreiterin. Aase Lionæs, die Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, hatte Brandt in seiner Exilzeit in Norwegen (von 1933 an) kennengelernt, sie waren gemeinsam in der Arbeiterbewegung aktiv gewesen - und man spürt die alte Vertrautheit, aber auch die Wucht des Augenblicks bei beiden, wenn man fünfzig Jahre später die bewegenden Bilder von der Verleihung betrachtet.

Nur drei Deutsche hatten vor Brandt den Friedensnobelpreis bekommen: Gustav Stresemann, der als Außenminister in der Weimarer Republik den Ausgleich mit den europäischen Nachbarn suchte; der Schriftsteller und Historiker Ludwig Quidde für seinen Einsatz für den Weltfrieden; und der Journalist, Schriftsteller und Pazifist Carl von Ossietzky, der 1938 an den Folgen seiner Misshandlungen im Konzentrationslager starb. Für die Ehrung Ossietzkys, der den Preis in Abwesenheit 1936 verliehen bekam, hatte sich in Norwegen Willy Brandt maßgeblich eingesetzt, der Erfolg seiner Kampagne war ein Triumph der Friedensbewegung und ein Schlag gegen die Nazis.

Für Brandt hatte die Auszeichnung für seine Ostpolitik eine ganz persönliche Dimension

Dass Brandt nun als deutscher Bundeskanzler für seine neue Ostpolitik den Nobelpreis erhielt, hatte daher auch eine ganz persönliche Dimension. Für ihn schloss sich an jenem 10. Dezember 1971 in Oslo ein Kreis. Auch später war ihm die Bedeutung bewusst: "Mitgetan zu haben, daß der deutsche Name, der Begriff des Friedens und die Aussicht auf europäische Freiheit zusammengedacht werden, ist die eigentliche Genugtuung meines Lebens", schrieb er 1989 in seinen "Erinnerungen".

In der Begründung des Nobelpreiskomitees hieß es, Brandt habe als "Chef der westdeutschen Regierung und im Namen des deutschen Volkes die Hand zu einer Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern ausgestreckt". Schon als Außenminister und seit 1969 als Bundeskanzler habe er Initiativen zur politischen und militärischen Entspannung zwischen Ost- und Westeuropa ergriffen. Das Komitee nannte hier ausdrücklich die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages 1969 und das Gewaltverzichtsabkommen mit der Sowjetunion. Dennoch war Brandt zum Zeitpunkt der Nobelpreisverleihung längst nicht am Ziel; die schwierige Ratifizierung der Ostverträge durch den Bundestag gelang erst im Mai 1972. Schließlich war Brandts Politik des Ausgleichs, die seine sozialliberale Koalition verfolgte, alles andere als unumstritten. Während sie international durchaus gewürdigt wurde, stieß sie bei CDU und CSU und Teilen der deutschen Öffentlichkeit auf erbitterte Kritik.

Brandt fühlte sich in Oslo 1971 nicht als "Sieger". Er sprach vielmehr für alle Verfolgten und Verdammten

Vor diesem Hintergrund muss man Brandts Rede vor dem Nobelpreiskomitee verstehen - in seinen Worten schwingen Erleichterung, Hoffnung, Stolz mit. Brandt kannte sich aus in der norwegischen Geschichte, er hatte ein gutes Gespür für die Menschen, die ihm zuhörten, und eine natürliche Abneigung gegen alles Floskelhafte. Deshalb zitierte er einen Satz des berühmten Polarforschers und Friedensnobelpreisträgers von 1922, Fridtjof Nansen, der sich für Kriegsgefangene, Flüchtlinge und Hungernde eingesetzt hatte: "Beeilt euch zu handeln, ehe es zu spät ist zu bereuen." Man kann diesen Satz auf die Friedenspolitik im Kalten Krieg beziehen, aber genauso gut lässt er sich auch heute noch verstehen. Als Ermunterung an die Menschen, in der Pandemie und in der Klimakrise das Richtige zu tun.

Willy Brandt erzählte in seiner Rede auch von den Briefen, die er nach Bekanntwerden der Nobelpreisentscheidung erhielt, etwa von einer Verwandten Anne Franks, aus Gefängnissen oder einer Dame, die ein schwieriges Leben gehabt habe. "Sie erinnerte mich an die Geschichte vom Indianerjungen, der den Vater fragt, als sie aus dem Kino kommen: Do we never win?" Willy Brandt, der von den Nazis ausgebürgerte Widerstandskämpfer gegen Hitler, fühlte sich in Oslo 1971 keineswegs als "Sieger", wie er sagte. Im Land, das ihn einst großzügig aufgenommen hatte und nun noch einmal beschenkte, sprach er vielmehr für alle Verfolgten und Verdammten.

Und sogar etwas Ironie erlaubte sich der deutsche Bundeskanzler bei der Feier in Oslo, bei der auch seine aus Norwegen stammende Frau Rut Brandt im Publikum saß: Alfred Nobel habe bei der Vorbereitung auf sein Testament gesagt, er wolle mit seinem Geld "gern Träumern helfen, die es schwer haben, sich im Leben durchzusetzen". Ihm, Willy Brandt, stehe aber kein Urteil darüber zu, ob das Nobelkomitee mit ihm "die richtige Wahl" getroffen habe. Fünfzig Jahre nach dem Ereignis kann man feststellen: Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Willy Brandt war ein großes Glück, in jeder Beziehung.

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