Süddeutsche Zeitung

Neue Popakademie:Harmlos und herdenträge

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Der deutsche Pop-Mainstream ist erschreckend öde. Lässt sich das ausgerechnet durch die geplante staatliche Förderung ändern?

Von Juliane Liebert

Nachdem der "Echo" im Jahr 2018 beerdigt wurde, bekommt Deutschland jetzt einen neuen Pop-Preis. Er soll das erste Mal 2022 verliehen werden, und im Gegensatz zum Echo nicht auf Verkaufszahlen, sondern Qualität basieren. "Es ist nun an der Zeit für einen Preis, der frei von kommerziellen Aspekten ausschließlich künstlerische Leistungen würdigt", erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die das Projekt fördert. "Der neue Preis wird die Musikerinnen und Musiker in den Mittelpunkt stellen und ein großes Spektrum an musikalischen Genres abdecken."

Verliehen wird der Preis von einer neu gegründeten Akademie für Popmusik, die sich nach dem Vorbild der Deutschen Filmakademie für die Branche starkmachen soll. Bisher gibt es 25 Gründungsmitglieder — darunter Balbina, Shirin David, Ebow, Nura, Herbert Grönemeyer, RIN, Roland Kaiser und Johannes Oerding. Die Akademie soll im September mit der Arbeit beginnen.

In Großbritannien existiert mit dem Mercury Music Prize schon seit Langem eine Auszeichnung, die Qualität belohnen soll und nicht nur nach Verkaufszahlen geht. In Schweden gibt es den Polar Music Prize, eine Art Nobelpreis für Musik, der Musiker fürs Lebenswerk auszeichnet — und zwar gattungsübergreifend, also sowohl Pop als auch Jazz und Klassik. Der Echo war dagegen ein Preis der deutschen Musikindustrie. Die hat es all die Jahre nicht geschafft, ihn als eine prestigeträchtige Auszeichnung für hervorragende Musik zu etablieren. Der Echo blieb immer ein reines Marketingtool.

Wohlfühlpop und Gangsterrap - sonst noch was?

Das soll jetzt anders werden, aber kann das klappen? Finanziert wird der neue Preis vom Staat. Darüber werden einige die Nase rümpfen, haftet einem Staatspreis doch immer etwas Offiziöses an, und gegen staatliche Förderung gerade im Popsegment werden des Öfteren Vorbehalte geäußert.

Es heißt dann, dass die Popmusik ohnehin ein Massenmarkt sei, in dem genug Geld umgesetzt werde. Dabei kommt es da eben darauf an, was man fördert. Denn Deutschland ist zweigeteilt, in eine durchaus interessante Indiepopszene und Charts, die von Ausnahmen abgesehen aus Tim-Bendzko-Wohlfühlpop und Gangsterrap bestehen. Indiemusiker müssen sich zumeist mit Zweitjobs über Wasser halten. Im Idealfall könnte ein solcher Preis dazu beitragen, dass der Mainstream in Deutschland interessanter wird.

Das andere Argument gegen die Förderung von Pop ist für gewöhnlich, dass Pop eben keine Hochkultur sei und auch nicht sein soll, sondern wild und untergründig und unabhängig. Dabei ist die Popmusik aus dem Alter der anarchischen Revolte längst herausgewachsen. Sie findet im Feuilleton und an den Universitäten statt, in Hinterhofclubs und klassischen Konzertsälen. Ihre Bandbreite ist enorm, reicht von Ballermann und Gebrauchsmusik bis zu avantgardistischen Experimenten, von obskuren Subkulturen bis zu High-Quality-Mainstream. Insofern spricht wenig dagegen, sie staatlich zu fördern wie andere Künste auch.

Die Frage ist nur, wie man das genau tut, welche Kriterien gelten, welches Ziel man damit anstrebt. Wenn mit dem neuen Preis am Ende nur wieder gediegene Mutlosigkeit prämiert wird, ist wenig gewonnen. Pop hat heute ein anderes Standing als vor fünfzig Jahren. Die auf sozialstaatliche Abmilderung von Klassengegensätzen orientierten Demokratien Europas lassen sich die Kultur auch sonst einiges kosten. Warum sollten sie sich gerade aus dem Pop heraushalten? Aber wie überzeugend staatliche Kulturförderung wirkt, hängt immer davon ab, wie sie konkret umgesetzt wird. In der Regel gilt: Je mehr Autonomie für die Personen und Institutionen, die in die künstlerische Produktion involviert sind, desto besser.

Es gibt Dünkel gegen die Massenkultur - aber auch Mainstream, der wirklich öde ist

Der Modus der Preisverleihung ist noch weitgehend offen. In der deutschen Pop-Rezeption ergänzen sich zwei schädliche Tendenzen: Zum einen hält sich hartnäckig der intellektuelle Dünkel gegenüber Massenkultur, jedenfalls sofern sie nicht aus Amerika oder Großbritannien kommt. Andererseits ist der deutsche Mainstream, ob im Film oder der Musik, oft auch erschreckend öde. Was nicht heißt, dass es nicht genug interessante Musik aus Deutschland gäbe. Aber die findet eben selten vor einem größeren Publikum statt.

Die Gründe dafür sind vielfältig, eine hierzulande verbreitete Konsenssucht spielt eine Rolle, ein Hang zur Fehlervermeidung, der die Fehler manchmal erst produziert, und ein wurstiger Wille, etwas Gutes und Relevantes zu tun, was leider regelmäßig zum Triumph des ethischen Schafsinns über den ästhetischen Scharfsinn führt. Damit sollen keinesfalls die großartigen Wollmilchtiere diskriminiert werden, aber deutscher Mainstream ist im Ergebnis häufig verheerend harmlos und herdenträge. Verlässt er das Konsensgebiet, stürzt er meist in den Höllenkreis für Après-Ski-Ballermann-Soundtracks ab. Gangsterrap sorgt sporadisch für witzige Kontraste, wenn Capital Bra etwa Modern Talking covert, ist aber in seiner Chartvariante inzwischen auch so generisch, dass ein durchschnittliches Taylor-Swift-Album dagegen wie die Himmelsscheibe von Nebra wirkt.

Nun kann man Labels und Stars nicht vorwerfen, dass sie produzieren, was sich verkauft. Aber gerade weil Pop von populär kommt, ist das, was sich verkauft, eben auch immer ein wirkmächtiges Bild, das die Gesellschaft von sich macht. Und auf dieses Bild kann auch die Musikwelt selbst Einfluss nehmen. Je weniger es aussieht, als hätte ein Maler mit dem Talent Adolf Hitlers ein Medley aus Dalí-Motiven gemischt und versucht, damit die gesellschaftsförderlichsten Gedanken von Richard David Precht zu illustrieren, desto besser.

Ein Preis hilft genau dann weiter, wenn er einen Beitrag dazu leistet, die etablierten Strukturen des deutschen Popgeschäfts ein bisschen durchzuschütteln. Dafür muss er einerseits durch Kompetenz legitimiert sein, um breite Akzeptanz zu finden, darf aber andererseits nicht in die Konsensfalle tappen. Das heißt, die Entscheidungsfindung sollte so organisiert sein, dass sich auch gut begründetes Werben für erst einmal irritierende Künstler durchsetzen kann. Ob das gelingt, wird maßgeblich von der Jury abhängen.

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