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Erinnerungskultur:"Man muss dem Zeitpunkt und dem Ort gerecht werden"

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An der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat Donald Trump mit einem flapsigen Eintrag ins Gästebuch irritiert. Der Historiker Arnd Bauerkämper erklärt, wie angemessene Gedenkkultur aussieht.

Interview von Paul Katzenberger

Donald Trump äußert sich in der Öffentlichkeit am liebsten über Twitter. Als er sich ins Gästebuch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eintrug, blieb er ebenfalls unterhalb der 140-Zeichen-Grenze, die ein Tweet maximal erlaubt. Etliche Kritiker merkten sofort an, das sei zu wenig und zu banal an diesem besonderen Ort. "Das schreibt man, wenn man oben auf der Zugspitze steht und die Landschaft bewundert", kommentierte Mosche Zimmermann, emeritierter Professor der Hebräischen Universität in Jerusalem. Der amerikanische Politologe Ian Bremmer erinnerte auf Twitter an den wohlüberlegten Gästebucheintrag von Barack Obama, als dieser Yad Vashem 2008 besuchte. Im Interview erklärt der Historiker Arnd Bauerkämper, der an der FU Berlin zum Nationalsozialismus und seiner Erinnerungsgeschichte forscht, was eine angemessene Erinnerungskultur an Orten wie Yad Vashem aus seiner Sicht ausmacht.

SZ: Was halten Sie von Donald Trumps Eintrag im Gästebuch von Yad Vashem?

Arnd Bauerkämper: Wenn man guten Willen zeigen wollte, könnte man "Never forget" als eine Reverenz an die Toten verstehen. Aber insgesamt wirkt der Eintrag in diesem Kontext zu flapsig und zu beiläufig. Er ist dem Anlass nicht angemessen.

Würden Sie so weit gehen, von einer Entgleisung zu sprechen?

Nein, so weit würde ich nicht gehen. Der Eintrag verletzt ja nicht die Würde der Opfer. Er negiert auch nicht den Holocaust. Trump geht nur nicht auf die Spezifik dieses Ortes ein und auf das Gedenken, für das er steht. Ich glaube nicht, dass er gezielt provozieren wollte, er demonstriert lediglich einen Mangel an Nachdenklichkeit und eine große Oberflächlichkeit, was bei diesem amerikanischen Präsidenten ja nun leider nicht neu ist.

Was halten Sie demgegenüber von dem Eintrag, den Barack Obama 2008 ins Gästebuch von Yad Vashem geschrieben hat? Obama setzt sich darin mit der Bedeutung dieses Ortes auseinander und lobt ihn als mächtige Erinnerung an das Potenzial des Menschen, Böses zu tun. Er erinnert auch konkret an die Opfer des Holocaust.

Diese Widmung wird den Besonderheiten des Ortes gerecht, wie auch der Spezifik des Gedenkens. Es wird die Geschichte erwähnt und die menschlichen Tragödien - also all das, was mit diesem Ort zusammenhängt. Das ist ein qualitativer Unterschied zu Trumps Widmung.

Aber wirkt Obamas Betroffenheit nicht sehr reflexhaft? Seine Erinnerung etwa an den Schwur "Nie wieder" ist so oft wiederholt worden, dass sie möglicherweise nicht mehr tief ins Bewusstsein der Menschen eindringt.

Über Einzelheiten kann man sich da durchaus streiten. In der Tat wirkt auch Obamas Eintrag inzwischen etwas oberflächlich. Etwas Spezifischeres hätte man sich da durchaus wünschen können. Im Vergleich mit Trump sind das allerdings Feinheiten. Was Obama macht, ist "cultural diplomacy". Da greifen Politiker zu Wendungen, die bekannt und auch ein bisschen abgenutzt, die aber auf jeden Fall sicher sind.

Was könnten wir aus Ihrer Sicht bei unserer Gedenkkultur in Bezug auf den Holocaust verbessern?

Man könnte das machen, was Obama ja andeutet: einen Bezug herstellen zu den Genoziden unserer Zeit. Es gab ja etwa die Völkermorde in Ruanda und in Jugoslawien sowie die Betroffenheit darüber. Und es gibt die systematischen Verfolgungen von Minderheiten, etwa im Jemen oder in Myanmar. Das ist zwar kein Völkermord, aber man könnte darüber diskutieren, inwieweit eine der Botschaften lauten sollte, sich schon den ersten Ansätzen einer planmäßigen Ermordung einer Minderheit zu erwehren. Wenn man anfängt, Minderheiten auszugrenzen, sie zu dämonisieren und als Feinde zu stigmatisieren, muss daraus kein Massenmord resultieren, aber es kann natürlich passieren.

Aber begibt man sich da als Staatsmann nicht auf dünnes Eis? Es besteht doch der Konsens, dass der Holocaust in seiner Grausamkeit etwas Singuläres ist. Auch Israel fordert das ein.

Es ist immer riskanter, weiter zu denken. Aber man könnte zumindest Fragen in diese Richtung stellen. Man könnte aber auch gewisse Gemeinsamkeiten zwischen aktuellen Genoziden und dem Holocaust feststellen - und den Holocaust gleichzeitig von Ruanda und Jugoslawien abheben.

Indem man den industriellen Charakter des Völkermords im Falle des Holocaust herausstellt?

Richtig. Der Holocaust war ein industrialisierter und systematischer Massenmord, was ihn von den Genoziden in Jugoslawien und Ruanda unterscheidet. Dort sind die Menschen zwar auch aufgestachelt worden, doch die Morde geschahen relativ spontan von Angesicht zu Angesicht. Im Nationalsozialismus ist der Staat hingegen mit einer gezielten Totalität, hochorganisiert und mit modernsten Mitteln gegen die Juden vorgegangen. Und das stellt eine besondere Spezifik des Holocaust dar, an die erinnert werden sollte.

Kann es sein, dass der obligatorische Charakter, den Yad-Vashem-Besuche für ausländische Staatsgäste in Israel haben, zu einer gewissen Apathie führt. Dass der Zwang zum Auftritt die innere Beteiligung des Staatsgastes schmälert?

Das ist sicherlich zumindest gelegentlich so. Das Gedenken darf nicht zu einem Ritual erstarren. Das ist ein echtes Problem, das wir auch manchmal in der Bundesrepublik finden. Dabei kommen solche Formeln heraus - wie "niemals vergessen", die oberflächlich, abgenutzt und banal wirken. Da muss man als Politiker aufpassen und deutlich machen, dass es einem ein echtes Bedürfnis ist.

Wie kann einem Politiker das gelingen?

Indem er versucht, eine individuelle Note reinzubringen. Die Mittel dazu haben Politiker ja. Den Redenschreibern im Auswärtigen Amt etwa können sie den Auftrag erteilen: "Du, schreib doch mal was Persönliches." Und dann lässt sich der Politiker das zuliefern und überarbeitet es. Wenn es einer schafft, so seine persönliche Handschrift reinzubringen, ist das doch wunderbar.

Wird das Ritual aber nicht auch permanent eingefordert? Trump etwa musste sich von israelischer Seite Kritik anhören, weil er laut Protokoll Yad Vashem nur 15 Minuten besuchen sollte. Er hat dann auf 30 Minuten verlängert. Sind das wirklich Dinge, die unsere Gedenkkultur braucht?

Nein, das halte ich für übertrieben. Vielmehr könnte die israelische Seite vielleicht darüber nachdenken, ob sie auf solchen Ritualen bestehen soll. Denn dieses Hineinzwängen in ein Korsett hat ja möglicherweise genau zur Folge, dass der Staatsgast innerlich nicht richtig dabei ist.

Israel wird mitunter auch vorgeworfen, den Verweis auf den Holocaust für aktuelle politische Ziele zu instrumentalisieren. Zu Recht?

Teilweise schon. Die Anwesenheit eines ausländischen Staatsgastes in Yad Vashem und das damit verbundene Bekenntnis zum Nicht-Vergessen ist per se vollkommen richtig. Aber leider wird dies besonders von israelischen Politiker gelegentlich auch für Zwecke genutzt, die mit der Erinnerung wenig oder gar nichts zu tun haben. Dabei kann und sollte auch der Hinweis auf den Holocaust nicht direkt und vordergründig einzelne politische Maßnahmen wie den Siedlungsbau im Westjordanland oder die Abriegelung palästinensischer Siedlungsgebiete rechtfertigen, wenn das Erinnern ernst genommen werden soll. Die große Mehrheit der Israelis instrumentalisiert die NS-Vergangenheit aber nicht in dieser Weise. Sie weist zu Recht auf die Verfolgung und Ermordung der Juden im "Dritten Reich" hin, ohne daraus unmittelbar eine bestimmte Politik gegenüber den arabischen Nachbarstaaten und den Minderheiten im eigenen Land abzuleiten.

Wie könnte sich ein Staatsgast vor dieser Instrumentalisierung schützen?

Indem er zum Beispiel die Konsequenzen für gegenwärtige Problemlagen betont, aber Äußerungen vermeidet, die als einseitige Parteinahme angesehen werden können.

Wie wäre es zu beurteilen, wenn ein Staatsgast in dem Zusammenhang das Leid der Palästinenser vorsichtig anspräche?

Ich fände es nicht angemessen, die Nakba ( die Vertreibung von 700 000 Palästinensern aus Palästina im Jahr 1948, Anm. d. Red.) in einen engen Zusammenhang mit dem Holocaust zu bringen. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Wenn man das gleichsetzt, lässt man sich wiederum von der palästinensischen Seite instrumentalisieren, die häufig argumentiert: "Was den Juden mit dem Holocaust angetan worden ist, ist uns mit der Nakba widerfahren." So einfach ist es aber nicht.

Aber als Minderheit verfolgt werden die Palästinenser ja schon.

Und das kann man auch ansprechen, solange man es nicht eins zu eins in einen Topf mit dem Holocaust wirft. Etwa indem man deutlich macht, dass anderen Minderheiten Leid zugefügt wird, darunter auch den Palästinensern. Man muss auf den Kontext achten: Was ich in Yad Vashem sage, kann sich ja von einer Rede unterscheiden, die ich öffentlich in Jerusalem halte. Man muss dem Zeitpunkt und dem Ort gerecht werden.

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