Süddeutsche Zeitung

Drogen:Den Tod gibt es im Angebot

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Von Kim Björn Becker

Die meisten Zimmer sind weiß gefliest und übersichtlich eingerichtet. Ein paar Tische und Stühle, vielleicht noch ein Waschbecken, das genügt an Mobiliar. In sogenannten Druckräumen kommt es nicht auf die Einrichtung an. Die Menschen kommen dorthin, weil es sterile Nadeln und Spritzen gibt, Desinfektionsmittel und Einmalhandschuhe. Sie kommen, weil sie nicht anders können - und die Alternativen ungleich schlechter wären.

Wenn der Gesetzgeber vom Drogenkonsumraum spricht, dann meint er, was umgangssprachlich Druckraum oder Fixerstube genannt wird. Zimmer also, in denen Süchtige ihre mitgebrachten Drogen unter vergleichsweise sicheren Bedingungen konsumieren können. Es gibt nur wenige Dutzend solcher Einrichtungen bundesweit, seit Jahren wird über die Fixerstuben diskutiert. Für die einen sind sie das Symbol für die Kapitulation des Staates vor der Sucht. Für die anderen eines der wenigen erfolgreichen Hilfsangebote.

Die Diskussion ist in den vergangenen Jahren etwas leiser als sonst geführt worden, sie ist ein wenig in die Fachzirkel verschwunden. Nun kommt sie zurück, denn nach einem zwischenzeitlichen Rückgang steigt die Zahl der Drogentoten wieder - und zwar erheblich.

Im vergangenen Jahr haben bundesweit 1226 Menschen ihr Leben durch Betäubungsmittel verloren, fast 19 Prozent mehr als noch 2014. In den Jahren zuvor wiederum, also zwischen 2005 und 2014, nahm die Zahl der Todesopfer im Schnitt um mehr als zwei Prozent pro Jahr ab, sie sank von 1326 auf 1032. Allerdings war die Entwicklung starken Schwankungen unterworfen - mal stieg die Zahl etwas, dann sank sie wieder. Doch ein Plus von fast 20 Prozent in nur einem Jahr, das gab es in den zurückliegenden zehn Jahren nicht.

Psychoaktive Mittel werden als "Badesalz" verniedlicht

Für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ist die Drogenpolitik der Bundesregierung damit aber "nicht gescheitert". Er führt die jüngsten Zahlen vor allem auf die Marktentwicklung zurück, gerade die hochgefährlichen Substanzen Heroin und Kokain würden immer billiger. "Sehr wirksame Drogen sind damit kein Luxusgut mehr, sie sind auch bei geringem Wohlstand bezahlbar", sagte Lauterbach der Süddeutschen Zeitung. Ähnlich äußerte sich auch Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamts (BKA). Er sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es gebe bei den klassischen Drogen derzeit ein "riesiges Überangebot in den Herkunftsländern, die häufig auch Krisenländer sind".

Heroin, eine Substanz aus der Gruppe der Opiate, wird aus der Schlafmohnpflanze gewonnen. Die größten Anbaugebiete sind Afghanistan, wo es im vergangenen Jahr eine Rekordernte gegeben haben soll, sowie das sogenannte Goldene Dreieck in Südostasien, bestehend aus den Staaten Laos, Thailand und Myanmar. Kokain wird aus dem Cocastrauch gewonnen, das Gewächs kommt vor allem in Südamerika vor. "Wir müssen aufpassen, dass der Markt nicht mit neuen, auch psychoaktiven Drogen, überschwemmt wird", sagte BKA-Chef Münch. Synthetische Drogen, also jene, die im Labor hergestellt werden, seien "auf dem Vormarsch". Dazu gehören neben dem bekannten Stoff Crystal Meth, einer Form des aufputschenden Amphetamins, auch sogenannte Legal Highs - psychoaktive Mittel, die gern als "Badesalz" verniedlicht werden.

Sie sind vielfach über das Internet erhältlich - und besonders riskant, da die Inhaltsstoffe oft nicht hinreichend bekannt sind und die Dosierung somit unklar. Im Jahr 2014 waren fast zwei Drittel aller Todesfälle auf den Konsum von einem oder mehreren Opiaten zugleich zurückzuführen. Vergiftungen mit Amphetaminen - darunter Crystal Meth - sind ebenfalls bedeutsam, obgleich sie für weniger Todesfälle ursächlich waren. Psychoaktive Designerdrogen brachten recht wenige Menschen um, doch die Zahlen stiegen in den vergangenen Jahren rapide an.

Abseits der als dramatisch wahrgenommenen Entwicklung im vergangenen Jahr spricht denn auch vieles dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen der Drogenpolitik eines Landes und der Zahl der Drogentoten gibt. An diesem Punkt kommen die Druckräume ins Spiel. In den sechs Bundesländern, in denen solche Einrichtungen bestehen, sanken die Sterbezahlen erheblich. Im Mittel gingen sie zwischen 2005 und 2014 um 30 Prozent zurück, der Bundestrend betrug zwischen 2005 und 2015 minus acht Prozent. In Nordrhein-Westfalen sank die Ziffer sogar um 47 Prozent.

Ganz anders in Bayern. Der Freistaat verfolgt seit jeher eine besonders restriktive Drogenpolitik. Dort gibt es keine Konsumräume, zudem werden - anders als etwa in Berlin oder Schleswig-Holstein - selbst kleinste Delikte strafrechtlich verfolgt. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Drogentoten in Bayern um 59 Prozent, allein von 2014 auf 2015 kletterten die drogenbedingten Todesfälle von 251 auf 314, wie der Bayerische Rundfunk unter Berufung auf das Innenministerium berichtet. Das entspricht einem Plus von 25 Prozent, sechs Punkte mehr als bundesweit.

Im Freistaat will man das aber nicht als Folge einer restriktiven Drogenpolitik verstanden wissen. Stattdessen führte ein Sprecher den Anstieg auf einen erhöhten Wirkstoffgehalt der Drogen zurück sowie auf das sogenannte Strecken der Substanzen. Landesgesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) kündigte an, in Zukunft mehr für Prävention und Aufklärung zu tun. Sie nannte es im Fernsehen einen "Widerspruch, wenn einerseits Besitz und Erwerb von Rauschgift strafrechtlich zu verfolgen sind, andererseits der Konsum von illegal beschafftem Rauschgift in Drogenkonsumräumen staatlicherseits erleichtert und geschützt wird".

Doch genau da müssten Länder wie Bayern ansetzen, meint der drogenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Harald Terpe. Druckräume könnten Leben retten, doch der Freistaat verweigere Abhängigen die nötige Unterstützung. "Wenn solche Hilfen aus ideologischen Gründen nicht angeboten werden, darf man sich nicht wundern, wenn die Zahl der Drogentoten überdurchschnittlich hoch ist", sagte Terpe der SZ. Drogenabhängigkeit sei eine "schwere Erkrankung", daher müsse den Betroffenen geholfen werden.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2016
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