Süddeutsche Zeitung

Feier im Hofbräuhaus:Hochfest des Verfassungspatriotismus

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Die freiheitliche Demokratie wird von allen Seiten immer heftiger bekämpft. Diese Gefahren prägten die Reden und Gespräche bei der Verfassungsfeier der Bayerischen Einigung. Erörtert wurden aber auch Strategien dagegen.

Von Hans Kratzer

Früher war es ganz selbstverständlich, dass ein Mann beim Grüßen seinen Hut lupfte. Heute hat sich dieser Brauch verflüchtigt, auch weil die Riege der klassischen Hutträger ziemlich schrumpft. Deshalb fiel es durchaus auf, dass Ludwig Prinz von Bayern, der künftige Chef des Hauses Wittelsbach, vor dem Eingang zum Münchner Hofbräuhaus seine jagerische Kopfbedeckung lupfte, als er dort Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Staatsministerin Ulrike Scharf erblickte und die beiden Frauen freundlich grüßte.

Die Begegnung kam nicht zufällig zustande. Im Festsaal wurde wie an jedem Dezemberanfang die vom überparteilichen Verein "Bayerische Einigung/Bayerische Volksstiftung" initiierte Verfassungsfeier begangen. Und zwar in Erinnerung daran, dass am 1. Dezember 1946 die Bayerische Verfassung durch Abstimmung angenommen wurde. Diese Verfassung bildet nicht nur ein zentrales politisches Fundament des Freistaats. Sie ist auch ein eigenstaatlich gefärbter Widerhaken im Geflecht von bundesdeutschem Föderalismus und europäischem Zentralismus.

Dass die hochgelobte Bayerische Verfassung eine feste Klammer des Gemeinwesens ist, wurde bei den Feiern schon oft hervorgehoben. Auch wenn sich viele Menschen in Deutschland weitgehend in Sicherheit wiegen, so steckt die Welt dennoch voller Krisen. "Ist unsere Demokratie in Gefahr?", lautete deshalb die Kernfrage der Verfassungsfeier.

Allein diese Frage zeige schon die Schwierigkeiten der aktuellen Entwicklung, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in seinem Grußwort. Man erlebe einen Zuwachs extremer Spektren und Versuche, das Land zu spalten und die Demokratie zu destabilisieren. Er blicke dennoch zuversichtlich in die Zukunft, sagte Herrmann, denn die meisten Menschen wüssten die Werte der freiheitlichen Demokratie zu schätzen.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) wies die populistische Kritik, die Demokratie würde nicht mehr funktionieren, zurück. Auch wenn man stets das Scheitern der ersten parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik vor Augen haben müsse, gebe es "kein besseres politisches System auf der Welt als unsere freiheitliche Demokratie."

Das untermauerte auch die musikalische Begleitung, die Aigner zu der Bemerkung veranlasste, so etwas Wunderbares wie die Bürgermeisterkapelle gebe es wohl nur in Bayern. Jenseits der allseits goutierten Blasmusik wurde abseits freilich die Frage laut, ob eine Verfassungsfeier ins Hofbräuhaus gehöre. Durchaus, ließe sich da erwidern, letztlich ist es sogar ein Paradeort der Demokratie. Immerhin hat dort eine resolute Bedienung einst dem Revolutionär und weltgrößten Antidemokraten Wladimir Iljitisch Lenin eine saftige Watschn verpasst.

Dieser Historie eingedenk waren auch die Professoren Hermann Rumschöttel und Ludwig Hoegner vom Präsidium der Bayerischen Einigung, die in Vertretung des schwer erkrankten Präsidenten Florian Besold die Veranstaltung lenkten. Rumschöttel nannte Besold "die tragende Säule der Verfassungsfeier", und er würdigte ihn als "sprachgewaltigen Repräsentanten des bayerischen Verfassungspatriotismus."

So schwang auch Wehmut mit, was sinnfällig wurde, als die Bürgermeisterkapelle das Lied vom böhmischen Wind anstimmte, der "noch wehen wird, wenn wir längst nicht mehr sind." Just in jener Stunde trug ein Ausläufer des Böhmwindes tatsächlich Schnee und Abfrischung herbei, die Stunden später die ganze Stadt lahmlegten.

In ihrer Festrede widmete sich Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung, dem Schutz der liberalen Demokratie in Zeiten digitaler Manipulation. Sie legte dar, wie sehr sogenannte soziale Medien alles Gewohnte unübersichtlich verändern, aber dennoch attraktiv für die Menschen seien, nicht zuletzt für Extremisten. In deren Wirken stecke das Potenzial, die Grundpfeiler der Demokratie zu unterminieren. Am besten wappne man sich gegen Desinformation, "indem man die Mündigkeit der Menschen fördert, die Mechanismen solcher Medien erklärt und das Vertrauen in die Verfassung sowie in die Handlungsfähigkeit der demokratischen Institutionen stärkt." Gerade auch deshalb, weil das Widerlegen von Fake News viel mehr Energie benötige als deren Produktion, wie Münch sagte.

Den Verfassungspreis "Jugend für Bayern" erhielten diesmal Schülerinnen und Schüler des Dossenberger-Gymnasiums in Günzburg. Sie betreiben seit 25 Jahren einen deutschlandweit einzigartigen Lernzirkel, ein Vorzeigeprojekt für Werte und Inhalte der Bayerischen Verfassung. Neuntklässler unterweisen dabei Grundschüler bei Projekten zum Thema "Jüdisches Leben in Bayern". Bisher nahmen 25 000 Grundschüler an diesem Lernzirkel teil. "Ein Antisemitismus-Verhinderungsprojekt" im besten Sinne, wie es in der Laudatio hieß.

Zum Ausklang der Feier trug die Musikerin Monika Drasch Artikel 117 und 131 der Verfassung in Liedform vor. Es war eine berührende, wenn auch ungewöhnliche Darbietung dieser Texte, in denen die Werte der Demokratie, aber auch die sich daraus ergebenden Pflichten formuliert sind.

Die Verfassungsfeier klang aus mit dem Absingen der Bayernhymne, bei der die Versammlung sodann die Europastrophe anstimmte, die 2012 von Schülern aus Bad Tölz bei einem Wettbewerb der Bayerischen Einigung erarbeitet wurde - ein weiterer Beleg dafür, dass die Verfassung auch junge Menschen erreicht.

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