Süddeutsche Zeitung

Unter Bayern:Sommerstoiber und Weihnachtspulli

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Die Tracht ist längst eine bayerische Uniform geworden, Politiker tragen sie gar aus staatspolitischen Gründen. Der Ministerpräsident setzt nun auch noch andere modische Maßstäbe.

Glosse von Katja Auer

Ein Standardwerk, das noch verfasst werden muss, ist jenes über den Einfluss von Dirndl und Trachtenjanker auf die Akzeptanz von Politikerinnen und Politikern bei Wählerinnen und Wählern. Bislang unveröffentlichte Studien dazu muss es aber bereits geben. Wieso sonst sollte Markus Söder, Ministerpräsident eines Landes, in dem jeder sagen darf, was er will, essen darf, was er will, und doch hoffentlich auch anziehen darf, was er will, seine Landwirtschaftsministerin anweisen, sie möge im Dirndl zu ihrer Vereidigung erscheinen? Und sich selbst, der keine Gelegenheit auslässt, seine Zugehörigkeit zum Stamm der Franken zu betonen, in ganz und gar nicht-fränkische Joppen werfen?

Die Tracht, und leider auch das Kasperlgwand, das vor allem zu Volksfestzeiten unter diesem Titel verkauft wird, ist zu einer Art bayerischer Uniform geworden. Als sich Marga Beckstein, die Frau des damaligen Ministerpräsidenten, dieser mit Verweis auf ihre fränkische, trachtenlose Herkunft verweigerte, wurde sie danach gar der Mitschuld an der CSU-Wahlschlappe von 2008 bezichtigt.

Der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber trug die Tracht - und selbst den Stopselhut der Gebirgsschützen - aus staatspolitischen Gründen und dabei mit solcher Überzeugung, dass der "leichte Sommerstoiber" zum Synonym für die sommerliche Leinenjoppe geworden ist.

Dennoch wird insgesamt deutlich mehr über die Garderobe von Politikerinnen gesprochen als über die von Politikern. Nur als der Stern von Karl-Theodor zu Guttenberg einst kurz über Bayern leuchtete wie jener damals über Bethlehem, wurde beinahe erstaunt bemerkt, dass dieser Mann ausgesprochen gut angezogen war.

Das hat vom amtierenden Ministerpräsidenten noch niemand behauptet, was ihn bei den vielen Vergleichen mit dem früheren Rivalen aber mutmaßlich am wenigsten schmerzen dürfte. In Sachen Garderobe ist er schmerzfrei, das hat er in Veitshöchheim oft genug bewiesen. Und so grüßte er an den zwei ersten Adventssonntagen im Internet die Bayern in einem Weihnachtspulli. Genauer gesagt, an jedem Sonntag in einem anderen Weihnachtspulli. Es muss da eine bislang unveröffentlichte Studie geben über die hohe Akzeptanz von Politikern in scheußlichen Pullovern. Wir sind schon sehr gespannt auf den dritten Advent. Und auf weitere Studien.

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