Süddeutsche Zeitung

Zweiter Weltkrieg in Franken:Die rätselhafte Bombardierung von Münchberg

Lesezeit: 2 min

1940 griff die britische Luftwaffe das Städtchen Münchberg an, das in keiner Weise kriegsrelevant war. Warum also? Dazu gibt es nun eine Theorie.

Von Olaf Przybilla, Münchberg

Die oberfränkische Kleinstadt Münchberg hatte im August 1940 kaum mehr als 7000 Einwohner. Maßgebliche Rüstungsbetriebe gab es nicht, als Standort der Wehrmacht hatte sich das Kreisstädtchen zwischen Bayreuth und Hof ebenfalls keinen Namen gemacht.

Dass überhaupt schon im August 1940, kein Jahr nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, Luftangriffe der Royal Air Force auf Hitler-Deutschland geflogen wurden, dürfte nur noch wenigen bewusst sein. Ein britischer Luftangriff aber auf Münchberg, einen in jeder Hinsicht überschaubar relevanten Flecken im Fränkischen? Das dürften wirklich nur Fachleute auf dem Schirm haben - und erst recht nicht, was für Gründe dafür genannt werden könnten.

Wobei man bei der Frage, warum und wann ausgerechnet ein Objekt, ein Stadtteil, ein Ort bombardiert oder nicht bombardiert worden ist im Zweiten Weltkrieg, stets vorsichtig sein muss. Seit Jahrzehnten ranken sich Legenden um die Frage, warum etwa Heidelberg von Bomben weithin verschont wurde; oder auch Fürth so wenig in Mitleidenschaft gezogen worden ist, sozusagen die westliche Vorstadt des schwerst getroffenen Nürnberg.

Wer wiederum dort, in Nürnberg, in einem kleinen Quartier nördlich der Festung leben darf, Gärten hinter der Veste genannt, den bedienen Lokalhistoriker gleich beim Einzug mit zwei Theorien, warum man nun in einem weithin erhaltenen Jugendstilviertel leben kann, in einem Quartier also, wie es in der von Fünfzigerjahre-Architektur geprägten Stadt kein vergleichbares gibt.

Theorie eins: Die Luftangriffe auf Nürnberg wurden von Norden aus eingeleitet, das kriegsunwichtige Quartier aber wurde überflogen, um die wenige Hundert Meter weiter südlich gelegene Kaiserburg umso kraftvoller zu treffen.

Theorie zwei: In dem Viertel findet sich ein äußert geräumiger Verwaltungsbau, der heute von Bayerns Finanzbehörden genutzt wird. Die Alliierten nutzten diese Bau kurz nach Kriegsende, hätten also wohl kein Interesse gehabt, ihn und das umliegende Quartier zu zerstören. Welche der beiden plausiblen Theorien stimmt? Womöglich keine, womöglich auch beide. Meist gibt es einen letztgültigen "Beweis" für solche Theorien nicht.

Zurück nach Münchberg, wo ein Angriff zwei Jahre vor den verheerenden Luftangriffen auf Nürnberg zu verzeichnen war, auf die Stadt also der NS-Reichsparteitage. Warum? Darüber hat der Journalist Werner Rost schon viele Thesen gehört.

Am eingängigste ist die, wonach Adolf Hitler einmal in einem Sonderzug auf einem Werksgelände in Münchberg übernachtet haben soll. 80 Jahre nach der rätselhaften Bombardierung hat Rost nun einmal alle Fakten, Thesen und Mythen für die in Hof erscheinende Frankenpost zusammengetragen und auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft.

Dass Hitler in Münchberg war, hat sich dabei bestätigt. Allerdings war dies Wochen vor dem Luftangriff. Vor etlichen Jahren hat der Historiker Harald Sandner ein Bewegungsprofil Hitlers vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass er sich in Münchberg tatsächlich mit Winifred Wagner getroffen hat, der Leiterin der Bayreuther Festspiele. Dass die Royal Air Force ihn kurz darauf erneut in einem Flecken in Franken vermutete, dürfte dagegen ein zusammengereimtes Gerücht sein.

Über drei Monate hat Rost in einem Dutzend Archiven nachgeforscht. Am wahrscheinlichsten ist seinen Recherchen nach eine Variante, der zufolge der vermeintlich sinnlose Angriff auf eine Kleinstadt zwar wohl tatsächlich mit Hitler zu tun hatte, anders freilich als häufig gedacht. So war nicht nur Münchberg Mitte August 1940 von Luftangriffen betroffen, sondern auch mehrere andere kleinere Ziele an wichtigen Bahnstrecken, vor allem in Thüringen.

Auch in Münchberg wurde der westliche Stadtrand getroffen, nahe der Bahngleise. Rost geht davon aus, dass der britische Auslandsgeheimdienst davon wusste, "dass Hitler in jener Nacht mit einem Sonderzug von Berlin nach München" unterwegs war. Hitler erreichte München unversehrt, in Münchberg waren massive Gebäudeschäden zu beklagen, zwei Menschen wurden verletzt, ein Pferd tödlich getroffen.

Ist Rost dem Rätsel von Münchberg 80 Jahre danach auf die Spur gekommen? Eine Bestätigung aus Großbritannien lasse auf sich warten, erzählt er. Ob sie je vorliegen wird, ist ungewiss.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2020
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