Süddeutsche Zeitung

Mobilität:E-Bikes erobern die Berge

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Mit elektrischer Hilfe kommen auch Menschen in Gebiete, die einst echten Sportlern vorbehalten waren. Das sorgt für Umsatz, ärgert aber die Radl-Traditionalisten.

Von Matthias Köpf, Schliersee

Selber muss er sich gerade nicht quälen. Trotz der Steigung kurbelt er den Berg hinauf, ohne beim Reden groß außer Atem zu kommen. Und doch: "Wer sich nicht quält, der kriegt nie ein richtiges Verhältnis zum Berg", sagt Andreas Wlach und schnauft eher verächtlich als angestrengt. Und mit diesen Dingern, da kämen jetzt eben auch Leute herauf, "die da heroben nix zu suchen haben", sagt der drahtige Münchner, dem man seine 50 Jahre nicht ansieht, und das nicht wegen der umgedrehten Baseballkappe auf seinem Kopf. "Und wenn ich's selber irgendwann mal nicht mehr rauf schaff, dann bleib ich unten."

Bisher bleibt Andreas Wlach ungern unten. Er fährt Mountainbike, seit sie in den Achtzigern aufgekommen sind, und er ist keiner von denen, die dazu unbedingt das allerneueste Modell und das allerbunteste Polyester-Trikot brauchen. Und was er schon gar nicht braucht, das ist eben ein Elektromotor. Mitten im Klimawandel, wo ein Rekordsommer den nächsten jagt.

Wer sich mit Andreas Wlach unterwegs vom Schliersee hinauf Richtung zum Bodenschneid-Haus über diese Dinge unterhalten will, der ist mit einem E-Mountainbike aber ziemlich gut beraten, und persönlich ist Wlach ja auch keinem böse, der da auf der Forststraße heranrollt und neben ihm mitten in der Steigung erst einmal ein bisschen ausrollen lässt. "Wenn mich einer überholt, ist mir das ganz egal. Ich sehe ja, dass es ein E-Bike ist", sagt er.

Selber ausprobiert hat er es noch nicht, aber drunten in Schliersee würde Florian Rebel auch ihm beim ersten Mal ein Aha-Erlebnis versprechen, und wahrscheinlich würde der Fahrradhändler Rebel auch bei ihm recht behalten. Denn wer bisher nur mit eigener Kraft auf die Berge gestiegen und manchmal auch gefahren ist und jetzt auf einmal mit guten 20 Stundenkilometern steile Schotterpisten hinaufschnürt wie nichts, der weiß, was Rebel gemeint hat. Ihn haben manche für verrückt erklärt, als er sich ausschließlich auf E-Bikes spezialisiert hat. Das war vor drei Jahren, ist also praktisch ewig her.

Denn die E-Mountainbikes in Bayerns Bergen werden immer mehr. Der Trend ist binnen weniger Jahre zu einem Massenthema geworden. Ein Fünftel aller Mountainbikes habe man zuletzt schon mit Motor verkauft, sagt Alois Sebrich, der beim Radhersteller Scott für den Vertrieb in Bayern zuständig ist. In zehn Jahren werden es schon vier Fünftel sein, schätzt Sebrich. "Das lässt sich nicht mehr aufhalten".

Und die jetzt am lautesten schimpfen, seien wahrscheinlich die, die sich als nächstes selber eines kaufen. Das böse Wort von der "Rentnerdrohne" habe sich jedenfalls überlebt, auch im Design der Räder. Ein E-Bike sei nicht mehr uncool und auch kein Eingeständnis, es anders nicht mehr zu schaffen. "Die Hemmschwelle ist von Ü50 auf Ü35 gesunken", sagt Sebrich. Vor allem aber sei das mit den E-Mountainbikes "ein Pärchen-Geschäft."

E-Bike-Einzelhändler Florian Rebel kann das bestätigen. Oft werde erst die Frau vorgeschickt, weil die sonst nicht mehr mitkommt oder überhaupt noch nie mitgekommen ist. Danach dauere es dann meistens nicht mehr lang, bis sich auch der Mann ein E-Mountainbike zulegt. "Oft kommt er noch in der selben Saison", denn jetzt hechelt plötzlich er hinterher.

Mehr als 5000 Euro lässt ein Paar für zwei solide Modelle in Rebels Laden. Die Kundschaft lasse sich solche Geräte gern etwas kosten. Dafür gibt es Genusstouren mit Aussicht, aber ohne Puls im roten Bereich, und einem ungeahnten Aktionsradius.

Mit den Elektro-Mountainbikes werden aber auch die Diskussionen darüber immer mehr. Zum Beispiel droben auf der Freudenreich-Alm bei Sebastian Gentili, den alle nur "Wascht" nennen. "Das werden immer zwei Lager bleiben", sagt er. Die 41 Jungrinder, die er den Sommer über hier gehütet hat, sind schon wieder im Tal. Die nächsten Wochen zäunt der Wascht noch ab, räumt zusammen und bewirtet die Wanderer und Radler, die zu ihm heraufkommen. "Auf alle Fälle werden das mehr", sagt er über die E-Biker, und zwar aus allen Altersgruppen. "Von den jungen Madln, die ihren Burschen hinterherkommen wollen, bis hin zu den Älteren, die vor 20 Jahren noch so heraufgekommen sind und es halt jetzt mit dem E-Bike wieder schaffen."

Der Wascht selber fährt lieber ohne Motor auf die Alm. "I plag mi gern", sagt er. Bis er vor neun Jahren hier heraufgekommen ist, fuhr er drunten Radrennen, erst mit dem Mountainbike, später vor allem Straßenrennen mit Amateur-Lizenz. Er selber würde das nicht so sagen, aber Florian Rebel erinnert sich, dass der Wascht früher mindestens im Landkreis Miesbach alle in Grund und Boden gefahren hat. Gentili hat nichts gegen die E-Biker, aber wenn er sagt, dass da "brutal viele schlechte Radfahrer dabei" sind, dann weiß er, wovon er spricht.

Manche hätten offenbar noch nie was mit einem Radl zu tun gehabt, fahren jetzt aber mühelos rauf und machen sich keine Gedanken, wie sie wieder runterkommen. Denn das Abwärtsfahren in den Bergen ist auch nicht leicht. Und wenn das Rad mit Motor und Batterie dann mehr als 20 Kilo wiegt und ordentlich anschiebt, dann wird es sicher nicht einfacher.

Trotzdem kämen manche sogar mit City-Bikes heraufgesurrt. "Oft hams dann noch des Einkaufskörberl hinten drauf." Gentili ist es gleich, "aber wenn zehnjährige Kinder mit dem E-Bike da heraufkommen, bloß damit der Papa ned warten braucht", dann hat auch er kein Verständnis mehr.

Frotzeleien wie vor Wascht Gentilis Hütte werden im Deutschen Alpenverein als veritable Debatte geführt. Bei 1,1 Millionen Mitgliedern kann und soll es kaum anders sein, sagt DAV-Sprecher Thomas Bucher und erinnert an die Konflikte der Skifahrer mit den Snowboardern und der Tourengeher mit den Freeridern. Das Bergradeln mit Elektro-Unterstützung rühre "schon so ein bisschen ans Grundverständnis dessen, was wir uns unter Bergsport vorstellen", nämlich, sich aus eigener Kraft auf den Berg zu begeben, sagt Bucher.

Dennoch habe der DAV nichts gegen E-Biker und wolle weder einen Kampf gegen Windmühlen noch gegen die eigenen Mitglieder führen. Nur zu zusätzlichen Wegen für die Biker solle das Ganze aus Sicht des DAV bitte nicht führen.

So etwas könnten sich wiederum Touristiker wie der Schlierseer Kuramtsleiter Mathias Schrön schon vorstellen. Für ihn sind die Mountainbiker die zweitwichtigste Zielgruppe nach den Wanderern. Er freut sich darüber, dass sie größer wird, weil es einfach mehr Leute in und auf die Berge schaffen.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2016
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