Süddeutsche Zeitung

Agrarpolitik:"Der Bauernverband und ich sind parteipolitisch unabhängig"

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Auf ihren Kreisbauerntagen demonstrieren die bayerischen Landwirte, der Bauernverband und die CSU traditionell ihren Schulterschluss. Jetzt war erstmals der Chef der Landtags-Grünen, Ludwig Hartmann, auf einem eingeladen.

Von Christian Sebald, Oberding

Am Ende machen die Bauern im Erdinger Land Ludwig Hartmann ein Angebot. Eine gute Stunde hat der Grünen-Chef im Landtag auf dem Kreisbauerntag im Bierzelt in Oberding vor 450 Bauern mehr Naturschutz und mehr Tierwohl in der Landwirtschaft eingefordert. Er hat das Bienen-Volksbegehren vor vier Jahren verteidigt, das immer noch höchst umstritten ist unter den Landwirten. Er hat gegen das Höfesterben gewettert und kostendeckende Preise für Weizen, Milch und all die anderen Produkte der Bauern verlangt. Und er hat sich dagegen verwahrt, dass die Grünen nur die Biobauern im Blick hätten.

Die Bauern haben es Hartmann nicht leicht gemacht. Sie haben die Rede mit merklicher Skepsis verfolgt. Jetzt ruft Jakob Maier, der örtliche Kreisobmann des Bauernverbands, ins Mikrofon: "Es gäb noch so viel zu bereden, aber wir haben die Zeit nicht mehr." Dann lädt er Hartmann zu einer weiteren Veranstaltung des Bauernverbands ein. Hartmann sagt zu.

Kreisbauerntage - man darf das durchaus so sagen - sind Jahrzehnte lang Hochämter des Schulterschlusses zwischen den Bauern in Bayern, dem Bauernverband und der CSU gewesen. Und sie sind es zumeist nach wie vor, auch wenn die eherne Verbindung inzwischen Risse hat und viele Bauern die Partei skeptisch betrachten. Schließlich kann sich auch die CSU den immer stärkeren Forderungen der Verbraucher nach einer umweltverträglicheren Landwirtschaft nicht länger verweigern. Vielen Bauern missfällt das, sie fühlen sich an den Pranger gestellt und im Stich gelassen.

Gleichwohl wird gerade auf Kreisbauerntagen der Schulterschluss weiter zelebriert. Die Großveranstaltungen laufen in der Regel nach demselben dürren Schema ab. Auf die Begrüßung durch den Kreisobmann folgen Grußworte des jeweiligen Bürgermeisters, Landrats, Landtagsabgeordneten und eines ranghohen Bauernverbandsfunktionärs. Bis auf Letzteren sind in der Regel alle von der CSU oder zumindest von den Freien Wählern. Dann folgt ein ein- bis eineinhalbstündiger Festvortrag. Den hält idealerweise die bayerische Landwirtschaftsministerin und CSU-Politikerin Michaela Kaniber. Außer Ministerpräsident und Parteichef Markus Söder wäre jeder andere Landespolitiker zweite Wahl.

Der Erdinger Bauernverband und sein Kreisobmann Maier haben mit diesem Automatismus gebrochen. Zwar kommen die Grußworte auch auf ihrem Kreisbauerntag alle von lokalen CSU-Politikern. Und mit Sozialministerin Ulrike Scharf ist sogar ein Mitglied der Staatsregierung angereist. Scharf hat ihren Stimmkreis in der Region, der Kreisbauerntag ist für sie Pflicht. Aber sie will eben auch Hartmann Paroli bieten. Denn der Höhepunkt des Abends sind diesmal der Grünen-Politiker Hartmann und sein Festvortrag.

Für den Bauernverband ist das genauso Neuland wie für Hartmann. Kreisobmann Maier hat die Einladung schon vor zwei Jahren ausgesprochen. Dann kam die Corona-Pandemie dazwischen. Jetzt hat Maier sie erneuert. Man darf annehmen, dass er sich deshalb eine ganze Menge böser Worte hat anhören müssen, im Verband wie in der Partei. Maier selbst spielt das herunter. "Der Bauernverband und ich sind parteipolitisch unabhängig", sagt er. "Wir müssen offen für Gespräche sein. Schließlich sind die Grünen jetzt in Berlin an der Regierung." Mit Cem Özedmir stellen sie sogar den Agrarminister.

Geduldig wiederholt er, dass die Bauern noch viel mehr Menschen zusätzlich mit Getreide versorgen könnten

Für Özdemir und dessen Weigerung, die vier Prozent der Agrarflächen in Deutschland, auf denen in Zukunft der Naturschutz Vorrang haben sollen, für den Getreideanbau freizugeben, muss Hartmann an diesem Abend besonders viel Kritik einstecken. Die Bauern selbst, aber auch der Erdinger Landrat Martin Bayerstorfer (CSU), Sozialministerin Scharf und der Vize-Präsident des Bauernverbands, Ralf Huber, prangern immer wieder an, dass sich die Grünen damit gleichsam an der Ernährung der Welt versündigen. Doch Hartmann hält stand.

Geduldig wiederholt er, dass die Bauern noch viel mehr Menschen zusätzlich mit Getreide versorgen könnten, wenn sie den Anbau von Futter- oder Energiemais ein wenig zurückfahren würden. Dabei zeigt sich der Grünen-Politiker fachlich kundig und politisch routiniert. So wie schon zuvor bei Besuchen von zwei Bauernhöfen in der Region. Auf dem einen - einem Bio-Bauernhof, der sein Getreide, die Kartoffeln und die viele Gemüsesorten auf seinen Feldern auch an Münchner Spitzen-Gastronomen vermarktet - fachsimpelt Hartmann mit dem Landwirt länger über alte, seltene Kirschsorten.

Der andere Betrieb ist der Huberhof in Eitting. Er wird von der Familie Kratzer geführt. Die Kratzers haben 60 Kühe im Stall, große Solaranlagen auf ihren Dächern, Gästezimmer und einen Hofladen. Außerdem gehören ihnen zwei Hektar Wald, in dem sie jede Menge Brennholz machen. Für das würden sie gerne ein kleines Biomasse-Heizkraftwerk bauen, das auch den Eittinger Kindergarten und eine ganze Reihe Nachbarn mit umweltfreundlicher Wärme versorgen könnte. Das Projekt hängt nur noch von einem speziellen Förderprogramm ab, das der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plant. Als Hartmann das hört, verspricht er sofort, "in Berlin nachzuhaken, wann es kommt" - und zwar so selbstverständlich, wie das bislang nur CSU-Politiker tun konnten.

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