Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Bayern:Wo "Fridays for Future" den Grünen Konkurrenz machen

Lesezeit: 3 min

In Erlangen und Kempten treten zur Wahl am 15. März zwei neue Gruppen an, die vor allem mehr Klimaschutz im Programm haben - und dieses Thema bei sich besser aufgehoben sehen als bei den Grünen.

Von Anna Günther und Olaf Przybilla

Vor 42 Jahren wurde Geschichte geschrieben in Erlangen. 1978, die Grünen waren auf Bundesebene noch nicht mal gegründet, zogen sie in Erlangen bereits in den Stadtrat ein. Wobei sich die damaligen Erlanger Grünen - sie nannten sich "Grüne Liste" - erheblich unterschieden von der später gegründeten Bundespartei. Aber renitent und ökologisch war diese Liste auch. Sogar eine Stadtratsrotation führten sie ein, obwohl so etwas kommunalrechtlich gar nicht vorgesehen war: Nach einem Jahr rotierte der erste grüne Stadtrat zugunsten des zweiten grünen Stadtrats aus dem Plenum. Alles in allem kann man wohl sagen, dass Erlangens Grüne Avantgarde waren - und so eben Geschichte geschrieben haben. "Wir wollen, dass sich Geschichte in Erlangen wiederholt", sagt der Hochschullehrer Karim Abu-Omar. Er tritt freilich nicht bei den Grünen an. Sondern auf der "Klimaliste".

Auf der Klimaliste in Erlangen - wie auch beim Allgäuer Pendant "Future for Kempten" - haben sich Aktivisten von "Fridays for Future" und Studenten zusammengetan, um ihre Forderungen von der Straße in den Stadtrat zu tragen. Dabei betonen die Aktivisten von "Fridays for Future", streng überparteilich zu sein. Dass sie dabei nicht zuletzt den Grünen Konkurrenz machen, liegt auf der Hand. Klar werde er jetzt immer wieder angesprochen, ob der Zusammenschluss nicht zu Lasten der Grünen gehe, sagt Sebastian Hornschild, der OB-Kandidat der Klimaliste. Das aber wehre er gebetsmühlenartig ab. "Wozu", frage er immer zurück, "wollen die Grünen noch mehr Stimmen haben?" Was die Grünen und die anderen für den Klimaschutz in Erlangen bewegt hätten, "das reicht halt nicht aus", findet er.

Die Klimaliste will das Ziel festlegen, die Treibhausgas-Emissionen der Stadt bis 2025 auf "Netto-Null" zu senken - wie Kopenhagen. Sie fordert "schnellstmöglich" einen "Masterplan Klimaschutz" und will bis 2025 ein Fahrverbot für alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor einführen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Die Universitäts- und Siemensstadt Erlangen habe die notwendigen finanziellen Kapazitäten, um die Kommune zur "klimafreundlichsten Stadt in Deutschland zu machen", erklären die Rathaus-Aktivisten. Wenn eine radikale Wende irgendwo funktionieren könne, dann in Erlangen - wo Geld und Geist hinreichend vorhanden sind. Dass man bei der ersten Wahl wohl nicht gleich den Oberbürgermeister stellen dürfte, ist ihnen klar. Man konzentriere sich ja nicht umsonst auf ein Thema, ohne die Breite aller politischen Felder abzudecken. Mindestens einen Stadtrat, idealerweise sogar drei, möchte man aber schon ins Plenum schicken - und auch damit Geschichte schreiben.

Die Erlanger Ur-Grünen von 1978 waren anfangs reichlich veralbert und kaum ernstgenommen worden. Sie schreiben sich heute aber auf die Fahnen, ein Siemens-Großprojekt und den Abriss von Altstadthäusern verhindert zu haben. Susanne Lender-Cassens, die Umweltreferentin von Erlangen und grüne OB-Kandidatin, nimmt die Konkurrenz sehr wohl ernst. Sagt aber auch: "Das Original sind wir." Sie hoffe einfach, dass "wir uns im Stadtrat nicht zerfasern". Und sie ist überzeugt davon, dass politische Gruppierungen "eine Haltung zu allen Themen" haben sollten. Was die Klimaliste derzeit eben nicht biete.

So konkrete Ziele wie in Erlangen haben die Kemptener Wahlkämpfer noch nicht, die erste Hürde hatte Priorität: 340 Unterschriften mussten die Umweltaktivisten von "Future for Kempten" (FFK) sammeln, damit ihre Liste zur Kommunalwahl zugelassen wurde. Am Ende unterzeichneten 399 Bürger. Die drei Schwerpunkte der Kemptener Schüler und Studenten überzeugten offenbar: Mehr Mitsprache für die Jugend, effizienter Kampf gegen den Klimawandel etwa über die Stadtwerke und eine Verkehrswende. Die FFK-Kandidaten um Benjamin Gras, Julius Bernhardt und Dominik Tartler wollen mit mehr Fahrradstraßen und besserem, günstigerem öffentlichen Nahverkehr weg von der "Autodominanz hin zur autofreien Mobilität". Details will der 18-jährige Gras nun in einem Workshop erarbeiten, an dem auch minderjährige Fridays-for-Future-Aktivisten mitwirken sollen. "Die Jugend ist grad gar nicht im Stadtrat repräsentiert", sagt der angehende Informatikstudent. Das müsse sich dringend ändern. Die Konkurrenzliste der Jungen Union ändere das nicht: "Die haben nur einen 18-Jährigen aufgestellt, alle anderen sind über 30 - das ist nicht mehr so jung, finde ich." Auf der FFK-Liste sind dagegen elf von 17 Kandidaten zwischen 18 und 20 Jahre alt, die anderen - im Schnitt Ü 50 - nennt Gras "Ratgeber".

Bei etablierten Parteien mitzuarbeiten, war keine Option. Auch die Grünen seien "zu alt und zu eingesessen", sagt Gras. "Wir wären nur irgendwo Lückenfüller auf der Liste gewesen." Die Jugendlichen wollen die Grünen nun mitziehen - gemeinsam würde man ohnehin mehr erreichen. Gras hofft auf mindestens einen Sitz im Kemptener Rathaus. Die Grünen stellen derzeit sechs Stadträte. Auch sie versprechen ihren Wählern Klimaschutz, besseren ÖPNV und eine fahrradfreundliche Stadt. Als Konkurrenz sieht Grünen-Stadträtin Erna-Kathrein Groll "Future for Kempten" aber nicht. Diese Liste spreche Nichtwähler und junge Leute an, und alle anderen vertrauten beim "Klimaschutz dem Original".

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SZ vom 17.02.2020
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