Süddeutsche Zeitung

Bayern:Wie soll die Nachmittagsbetreuung für Grundschüler aussehen?

Lesezeit: 4 min

Von Anna Günther und Johann Osel, München

Der Plan der Staatsregierung, doch für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler einzutreten, nimmt grobe Konturen an. Dennoch scheinen entscheidende Fragen weiterhin ungeklärt zu sein. Familienministerin Emilia Müller (CSU) hatte bei einem Pressetermin zum Jahreswechsel angekündigt, den Rechtsanspruch forcieren zu wollen. Ganztagsschulen meinte die Ministerin damit nicht, sondern Nachmittagsbetreuung an der Schule oder zum Beispiel in Horten.

Wie ein Rechtsanspruch in der Praxis aussehen soll, blieb in den Diskussionen bisher schwammig. Auf SZ-Anfrage teilte das Familienministerium nun mit, dass es einen Bedarf von etwa 360 000 Plätzen sieht. Wie viele Plätze an welcher Schule nötig sind, sollen die Kommunen ermitteln; sie sollen außerdem für Personal und Infrastruktur zuständig sein. Man erwarte allerdings auch finanzielle Hilfe vom Bund.

Käme es zu dem Rechtsanspruch, lasse sich der tatsächliche Bedarf nur schwer prognostizieren, heißt es im Ministerium. Jedoch sei von einer Nachfrage von 80 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen auszugehen - eben die 360 000 Plätze. Im Spätsommer hatte die SPD im Landtag von einem "Grundschulschock" gesprochen, 80 Prozent der Kinder in diesem Alter hätten keine ausreichende Betreuung am Nachmittag.

Diesen Schluss zog die Fraktion aus einer Anfrage, wonach es nur für jedes fünfte der 432 000 Grundschulkinder verlässliche Ganztagsbetreuung gebe, die annähernd Strukturen biete, wie sie Eltern aus den Vorjahren gewöhnt seien. In den Kitas nämlich seien es - hier gilt ein Rechtsanspruch - 98 Prozent. Die 20 Prozent an laut SPD zuverlässiger Betreuung setze sich zusammen aus Hortplätzen, Tagesheimen oder Einrichtungen wie Kinderhäusern; dazu kämen weitere 20 Prozent der Grundschüler, die eine "zeitlich eingeschränkte Mittagsbetreuung" nutzen könnten; auch gebe es knapp zwölf Prozent in Ganztagsschulen, "die alle nicht bis zum Feierabend der Eltern dauern".

Diese Formen der flexibel gehaltenen Betreuung wertet die Fraktion nicht als verlässlich. Das definiert die Staatsregierung anders, auch wenn sie sich auf dieselben Zahlen stützt. Laut Müller werden mehr als die Hälfte der Kinder ganztägig und damit verlässlich betreut; sie rechnet die Mittagsbetreuung mit ein.

"Erhebliche Qualitätsunterschiede"

Die SPD aber sieht in der Individualität auch "erhebliche Qualitätsunterschiede". Es sei nicht mal gewährleistet, dass die Kinder bei den Hausaufgaben betreut werden. Dazu komme, dass Angebote unterschiedlich viel kosteten, von gratis bis zu einigen hundert Euro im Monat im Fall von privaten Trägern. Tatsächlich ist die Ganztagsbetreuung an Grundschulen bisher ein ziemliches Durcheinander.

Dies fiel auch dem Obersten Rechnungshof auf, der 2016 das Kultusministerium rügte. Die Prüfer beklagten fehlende Qualitätsstandards und zu großen Verwaltungsaufwand. An vielen Grundschulen dauert die Betreuung nur über die Mittagszeit bis 14 Uhr, an anderen bis 15.30 oder 16 Uhr. Oft werden die Gruppen ehrenamtlich organisiert. Zuständig sind in der Regel die Kommunen. Die CSU-Fraktion und Schulminister Ludwig Spaenle sehen darin eine Vielfalt, die den Wünschen aller Eltern gerecht werden soll.

Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule stelle Familien "vor nahezu unlösbare organisatorische Probleme", bilanzierte die SPD. Auch der Bayerische Lehrerverband bemängelt regelmäßig, dass die CSU jede in den Nachmittag reichende Betreuung sofort Ganztagsschule nenne. Er hält den gebundenen Ganztag, also klugen Wechsel von Unterricht und Freizeit in der Schule, für das "pädagogisch wertvollste Angebot". Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft fordert den Rechtsanspruch in einem Papier: "Um zu verhindern, dass Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, wenn die Kinder eingeschult werden, ist der Ausbau von Ganztagsbetreuung an Grundschulen wichtig."

In der CSU gab es im Laufe des vergangenen Jahres offenbar ein Umdenken. Im Sommer hatte die Frauenunion den Rechtsanspruch gefordert und sich damit offensiver gezeigt als die Partei: Die Regierungsfraktion im Landtag hatte entsprechende Anträge von SPD und Freien Wählern zuvor abgelehnt. Es werde einen "bedarfsgerechten" Ausbau geben, wie es Ministerpräsident Horst Seehofer 2015 in seiner Regierungserklärung angekündigt habe, hieß es lange, somit erübrige sich wohl der Rechtsanspruch.

Im "Bayernplan", dem Wahlprogramm der CSU zur Bundestagswahl, tauchte das Wort dann auf. Der Rechtsanspruch war auch Thema in den gescheiterten Jamaika-Sondierungen im Bund und dürfte in den Verhandlungen über eine große Koalition wieder auf den Tisch kommen. CDU und auch SPD plädieren dafür.

Seehofer hatte 2015 mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, dass fortan die Grundschulleiter die Organisation der Ganztagsbetreuung von Jugendhilfe, Trägern und Vereinen übernehmen. Das sollte mehr Qualität und einheitliche Standards bringen. Eine Bilanz im Januar 2017 fiel positiv aus. Das sogenannte Kombi-Modell jedoch, in dem der Hort nach der Schule die von berufstätigen Eltern benötigten Randzeiten bis 18 Uhr und die Ferien abdecken soll, scheint zu floppen.

Nach Seehofers Plan hätten 100 Schulen diese Betreuung ausprobieren sollen. Fast drei Jahre später läuft das Modell an fünf Schulen, an weiteren 15 ergänzt der Hort gebundenen Ganztagsunterricht. Ein Rechtsanspruch ergebe nur Sinn, wenn er flächendeckend und uneingeschränkt gilt, so das Familienministerium. Einen Widerspruch zum entscheidenden Wort "bedarfsgerecht" sieht man nicht. Das hieße aber wohl in der Praxis: Wenn es an einer Schule verlängerte Mittagsbetreuung gibt, haben die Eltern kaum Anspruch auf Betreuung bis 18 Uhr.

Ministerium will Geld vom Bund

Das Haus von Emilia Müller setzt auf Geld vom Bund: "Ein Rechtsanspruch im Grundschulbereich ist ohne Mittel des Bundes für den Freistaat nicht finanzierbar." Konkret gehe es um Investitionen und Betriebskosten. Inwiefern der Bund dann in der Schulpolitik mitreden könnte, ist strittig. Der bayerische Gemeindetag spricht sich gegen den Rechtsanspruch aus, vor allem aus finanziellen Gründen - es fehlten Grundstücke, Räume und Fachkräfte.

In der überwältigenden Mehrheit der Kommunen sei ein Rechtsanspruch nicht umsetzbar, so Gemeindetagschef Uwe Brandl. Er fürchtet eine Klagewelle von Eltern gegen die Kommunen. "Die Politik sollte Eltern nichts versprechen, was die Kommunen nicht einhalten können." Brandl verlangt als ersten Schritt klare Konzepte.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2018
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