Süddeutsche Zeitung

Naturschutz in Bayern:Vom Recht auf eine halbwegs unversehrte Landschaft

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Hohlwege, Bildstöcke, Fischteiche - überall haben Menschen ihre Spuren hinterlassen. Erstmals sollen diese häufig übersehenen Kulturgüter erfasst und so besser geschützt werden.

Von Hans Kratzer, München

Gut eineinhalb Jahre ist es jetzt her, dass östlich von München die umstrittene Isentalautobahn eröffnet wurde. Das 30 Kilometer lange Teilstück wurde in eine tertiäre Landschaft hineingebaut, in der sich von Hügel zu Hügel die Kulissen ändern. An klaren Tagen erspäht der Spaziergänger von mancher Anhöhe aus bis zu 40 Kirchtürme.

Die Autobahn wurde normgerecht geplant und gerichtlich sanktioniert, aber sie hat diese alte Kulturlandschaft dramatisch verändert. Tiefe Eingriffe dieser Art gehören heute zur Normalität. Jeden Tag werden in Bayern 10,8 Hektar freie Landschaft für Siedlungen, Gewerbegebiete und Straßen geopfert. Kein Wunder, dass sich das Land in den vergangenen 70 Jahren stärker verändert hat als in der Zeit von 1450 bis 1950.

Der Taktgeber für die starke Überformung der Landschaft durch allerlei Infrastruktur ist die wirtschaftliche Notwendigkeit, die keine Rücksicht nimmt auf das Erscheinungsbild von Klärwerken, Mülldeponien und Gewerbegebieten. Dem baulichen Wildwuchs wird im Diskurs meistens der Begriff der Kulturlandschaft gegenübergestellt, der auf Anhieb nicht leicht zu definieren ist.

Sicher ist nur, dass das Wort etwas qualitativ Höherwertigeres zum Ausdruck bringen soll als etwa der Begriff Müllhalde. Das touristisch attraktive Oberland wäre zum Beispiel ohne die Kulturarbeit vieler alter Klöster blutleer. Die Mönche und die ihnen zugehörigen Bauern haben diese Flächen im Mittelalter zu jener attraktiven Landschaft geformt, die sie heute darstellt.

Aber auch anderswo wird die Landschaft durch viele Objekte gegliedert, die bereits historisch sind, aber noch eine gewisse Faszination ausstrahlen. Wie etwa jener Grenzstein bei Wörnitzstein (Landkreis Donau-Ries), der mitsamt einem Wappen des Kurfürstentums Bayern die alte Grenze zum Fürstentum Oettingen-Wallerstein markiert.

Obwohl die Kulturlandschaften dem Land ein Gepräge verleihen und den Menschen Erholung schenken, gibt es noch kein landesweites Register, das die Bestandteile der Landschaft auflistet und sie im Notfall vielleicht vor einer drohenden Beseitigung schützt. Ein Schutz, den die Denkmäler (Denkmalliste) und die unter Naturschutz stehenden Objekte zumindest formell besitzen.

Heimatpfleger berichten regelmäßig, dass vor allem Flurdenkmäler oft versetzt werden, sei es bei Straßenerweiterungen oder im Zuge von sonstigen Baumaßnahmen. Da steht dann ein Bildstock oder ein Marterl plötzlich ganz woanders. Die Flurbereinigung hat ebenfalls dazu beigetragen, dass vieles verschwunden ist: Hohlwege und Kellergassen, Weinberge und Streuobstwiesen, historische Ortsränder und Flurformen, Feldkreuze, Grenzsteine sowie Teichlandschaften.

Mittlerweile aber ist das allgemeine Interesse an diesen Phänomenen gestiegen, stellt Tobias Appl, der Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, fest. In der Oberpfalz gibt es sogar einen Arbeitskreis für Flur- und Kleindenkmalforschung.

Dort ist zu erfahren, dass die Bedeutung der Flurdenkmäler als Orientierungspunkte in der Landschaft im GPS-Zeitalter zwar ebenso verschwunden ist wie die Bedeutung der Feldkreuze für die Volksfrömmigkeit. Aber als Farbtupfer und Gliederungselemente in einer immer großräumigeren, eintönigeren Landschaft werden sie wieder geschätzt, seien es Bildstöcke in Franken, Hohlwege wie bei Heretsried (Landkreis Augsburg), Moor- und Streuwiesenflächen bei Seeg (Kreis Ostallgäu) oder die Schleuse des Ludwig-Main-Donau-Kanals bei Mühlhausen (Kreis Neumarkt i. d. Oberpfalz).

Ein wichtiges Anliegen ist der Erhalt dieser Schätze dem Landesverein für Heimatpflege. Er setzt sich seit Jahren für eine landesweite Erfassung der Landschaftselemente ein, "nicht zuletzt, um ihrem schleichenden Verlust wirksam zu begegnen," wie Ursula Eberhard, Referentin für Kulturlandschaft beim Landesverein, erklärt.

Bereits im Jahr 2017 wurde in einigen Landkreisen das sogenannte Leader-Projekt "Erfassung (historischer) Kulturlandschaft" ins Leben gerufen, Ende 2020 ist es beendet worden. Leader ist der Name für ein Maßnahmenprogramm der Europäischen Union, mit dem seit 1991 innovative Aktionen im ländlichen Raum gefördert werden.

Es ist freilich zu beobachten, dass diese Projekte, wenn ihre Laufzeit beendet ist, Gefahr laufen, wieder zu versanden. Deshalb übernahm der Landesverein die Verantwortung für die im Zuge des Projekts entwickelte Datenbank. Sie soll nun schrittweise geöffnet und erweitert werden. Zu diesem Zweck wurde beim Landesverein in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege eine halbe Stelle eingerichtet. Sie wurde mit einem ausgewiesenen Experten, dem Landschaftsplaner Thomas Büttner, besetzt. Er soll die Einträge, die durch ehrenamtliche Kräfte erfolgen, vor der Freigabe im Internet formal und inhaltlich prüfen.

Die Datenbank ist bereits unter der Adresse erfassung.historische-kulturlandschaft.net abrufbar. Darin finden sich mittlerweile mehr als 1200 Einträge, viele weitere sind in Bearbeitung. Geplant ist weiterhin, künftig Seminare zur Ausbildung von Kulturlandschaftsbeauftragten anzubieten. Überdies spricht sich der Landesverein für Instrumente der politischen Mitbestimmung aus, wie beispielsweise für den Bürgerentscheid in der Stadt Weiden zum Gewerbegebiet Weiden West IV, für das ein Teil des Waldes im Weidener Westen, der auch ein wichtiges Naherholungsgebiet ist, abgeholzt werden musste.

"Schließlich haben die Bewohner einer Region das Recht auf eine halbwegs unversehrte Landschaft und auf gemeinschaftsverträgliche Lösungen," heißt es in einer Stellungnahme des Landesvereins.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2021
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