Süddeutsche Zeitung

Landtag:Hartmann: Aiwanger ist "ambitionslos"

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Von Lisa Schnell, München

Kurz bevor Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) am Mittwoch seine erste Regierungserklärung zur Energiepolitik hält, kritisieren die Grünen ihn scharf und legen ein eigenes Energieprogramm vor. "Wir wollen, dass Bayern bei der Energiewende wieder ganz vorne mitspielt. Jetzt sitzt es auf der Reservebank", sagt Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Grünen im Landtag. Bayern sei nach aktuellem Stand das einzige Bundesland, in dem 2018 weniger Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde als noch 2017. "Das ist ein Armutszeugnis", sagt Hartmann: "Da müssen doch die Alarmglocken angehen." Er fordert Aiwanger auf, am Mittwoch konkrete Ziele zu nennen. Derzeit sei die Politik der Koalition von "Orientierungslosigkeit" geprägt: "Es fehlt ein Gesamtkonzept."

So eines meinen die Grünen nun erarbeitet zu haben. Ihr Ziel ist es, bis 2030 den gesamten Stromverbrauch in Bayern durch erneuerbare Energien abzudecken. Derzeit sind es 44 Prozent. Die restlichen fast 60 Prozent wollen sie vor allem mit Sonnen- und Windenergie gewinnen, die größtenteils in Bayern produziert werden soll. "Mit Aiwangers ambitionslosen Plänen wäre das nicht möglich", sagt Hartmann. Die Grünen wollen bis 2030 viermal so viel Strom aus Windenergie gewinnen wie jetzt und dreimal so viel aus Solarenergie. Während Aiwanger 300 Windräder bauen will, streben sie in den nächsten zehn Jahren 1500 an. Aiwanger will die Photovoltaik-Leistung pro Jahr um 500 Megawatt steigern. Schon 2017 betrug der Zubau 500 Megawatt. Die Grünen werfen ihm deshalb vor, beim Status Quo stehen zu bleiben. Sie streben bis 2030 dagegen eine Steigerung um 1800 Megawatt pro Jahr an. Ihr Energiekonzept umfasst sechs Maßnahmen.

Um genügend Sonnenenergie zu erreichen, soll jede Schule im Freistaat in den nächsten zwölf Monaten eine Solaranlage aufs Dach bekommen. Insgesamt wären das etwa 4800 Gebäude, so Hartmann. Weitere 8000 kommen nach dem Plan der Grünen in den nächsten zwei Jahren dazu, indem alle Gebäude des Freistaats mit Sonnenkollektoren ausgestattet werden. Eine Idee, die auch die Staatsregierung schon hatte. Ende 2012 entschied der Ministerrat, alle Dächer des Freistaats auf ihre Eignung für Photovoltaik zu überprüfen. Fünf Jahre später allerdings heißt es in einer Antwort an die Grünen, dass nur 21 Prozent der Dächer überprüft wurden. Von den etwa 250 geeigneten Häusern bekamen nur dreizehn Solarkollektoren.

Als dritte Maßnahme nennt Hartmann eine "Solarpflicht für Neubauten". Eine Änderung der Bauordnung, die ohne den Bund möglich wäre. "Wenn man den Klimaschutz ernst nimmt, ist es selbstverständlich, dass Bauherren und Investoren ihren Beitrag leisten", sagt Hartmann. Es müsse sich niemand Sorgen machen, draufzuzahlen. "Solarstrom ist wettbewerbsfähig. Es rechnet sich." Während die Koalition aus FW und CSU eher auf freiwillige Maßnahmen setzt, sagt Hartmann: "Es ist Aufgabe des Staates, lenkend einzugreifen."

Wie der Staat derzeit bei der Windkraft eingreift, lehnt er allerdings ab. "Die 10-H-Abstandsregelung muss beerdigt werden." Seitdem sie vor fünf Jahren eingeführt wurde, ist die Windkraft in Bayern so gut wie zum Stillstand gekommen. Die Ausbauträume der Grünen sind mit ihr nicht zu machen. Etwa 150 Anlagen pro Jahr wollen die Grünen bauen, bis 2030 würden in Bayern dann um die 2600 Windräder stehen. Jetzt sind es 1100. Und was ist mit "unserer wunderschönen bayerischen Landschaft", wie es Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte? Schließlich liegt die den Grünen ja auch am Herzen, wie sie mit ihrem Kampf gegen Gewerbegebiete auf der grünen Wiese zeigen. "Unsere Kinder werden uns nie vorwerfen, wir hätten zu viel Windanlagen gebaut. Sie werden fragen: Warum habt ihr nicht mehr getan?", sagt Hartmann. Aber auch er will, "dass Windkraft nicht überall entsteht, sondern in gelenkten Bahnen." Zwei Prozent der Landesflächen sollen als Vorranggebiete für Windkraft ausgewiesen werden. Wo die Windräder stehen, soll Landräten und Bürgermeistern überlassen werden. Den Einwand, Bayern sei nicht besonders gut geeignet für Windkraft, lässt Hartmann nicht gelten. Die Anlagen seien höher und effizienter geworden und damit besser geeignet für ein Binnenland wie Bayern: "Jetzt haben wir die Technik und dann bauen wir nicht. Das ist frustrierend."

Auf die bayerische Ingenieurskunst vertrauen die Grünen auch bei ihrem letzten Punkt. Bis 2022 wollen sie 50 "Kombikraftwerke" voranbringen, also Kraftwerke, die Wind-, Sonne- und Biogasanlagen zusammenschalten, um eine durchgehend verlässliche Stromversorgung zu erreichen. Wenn viel Wind geht, wird die Biogasanlage runtergefahren, da dort die Energie gespeichert werden kann. So erklärt es Hartmann. Noch würden die Rahmenbedingungen nicht stimmen: "Wir müssen einen Wettbewerb der Ideen anregen." Der Freistaat solle deshalb einen Wettbewerb für Universitäten und Unternehmen ausschreiben, der mit etwa 25 Millionen Euro gefördert werden soll. Das Problem, dass Sonnen- und Windenergie nicht gespeichert werden kann, ist damit nur ansatzweise gelöst. Hartmann ist sich sicher, dass eine technische Lösung gefunden werden kann. Dazu allerdings brauche es: Den Druck aus der Politik und die klare Ansage, was erreicht werden soll.

Er fordert Aiwanger auf, am Mittwoch klar Stellung zu beziehen: "Mit kleinen Kurskorrekturen schafft man keine 180-Grad-Wende. Wenn Aiwanger das Ruder jetzt nicht komplett rumreißt, macht er Bayern zum Land der Energiewendeverlierer."

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Quelle:
SZ vom 25.11.2019
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