Süddeutsche Zeitung

Polizeiaufgabengesetz:Die Linke klagt gegen den Präventivgewahrsam

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Aus Sicht der Partei ist er "verfassungswidrig und völlig unverhältnismäßig" angesichts der Strafen, mit denen beispielsweise Klimaschützer rechnen müssen. Die Kläger hoffen für Mitte Januar auf eine erste Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

Von Johann Osel

Die Linke klagt beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen den Präventivgewahrsam, den das Polizeiaufgabengesetz (PAG) vorsieht und der zuletzt gegen sich festklebende Klimaaktivisten verhängt wurde. Die Popularklage soll, wie Linke-Landeschefin und Rechtsanwältin Adelheid Rupp am Freitag bei einem Pressegespräch mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern erklärte, unverzüglich eingereicht werden.

"Wir halten die Präventivhaft für verfassungswidrig und völlig unverhältnismäßig angesichts der Strafen, die auf die Blockierenden zukommen." Gegen das Gesetz selbst läuft derzeit mehr als ein halbes Dutzend Klagen diverser Art am Gerichtshof in München sowie am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, unter anderem auch durch SPD und Grüne im Landtag. Durch gezielte Klage gegen die Einzelnorm nun, so Rupp, solle dieser Punkt rascher und effizienter geklärt werden. Per Antrag auf einstweilige Anordnung, diesbezüglich hofft die Linke schon Mitte Januar auf eine Entscheidung. Derzeit befinden sich in Bayern acht "Klimakleber" in Gewahrsam, hieß es; sechs davon werden an diesem Samstag entlassen, zwei nach richterlicher Verfügung erst am 5. Januar.

Bisher habe es bei den Aktionen der Klimaschützer als Strafen mündliche Verwarnungen oder Geldstrafen gegeben, deshalb sei eine Gewahrsamnahme für längere Zeit unangebracht, begründete Rupp die These der Unverhältnismäßigkeit. Inzwischen gebe es bundesweit auch die ersten Freisprüche. Zudem seien Sitzblockaden grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit gedeckt. Der präventive Polizeigewahrsam sei von der Staatsregierung mit der Begründung eingeführt worden, sich damit besser gegen islamistischen Terrorismus wehren zu können. "Die Bedenken haben sich nun leider bewahrheitet, dass die Präventivhaft nicht angewendet wird, um Terroranschläge abzuwehren, sondern gegen Menschen, die mit friedlichen Sitzblockaden und zivilem Ungehorsam für mehr Klimaschutz demonstrieren." Die Maßnahme wird ihrer Ansicht nach "völlig beliebig" von Richtern verhängt.

Es werde dadurch, ergänzte Titus Schüller, Linke-Stadtrat in Nürnberg, der Rechtsstaat "ausgehöhlt". Die Klimaaktivistin Lisa Pöttinger warnte davor, dass im Jahr 2070 ein Drittel der Erdoberfläche "zur Todeszone" werde, es handele sich auch um eine "kapitalistische Krise", man müsse "die Profitlogik angreifen" - was wiederum Ansichten in der CSU Auftrieb geben dürfte, dass hinter den Aktionen ein linksextremistischer Kern stecke. Jörg Jovy vom Bündnis "NoPAG", das zur Landtagswahl 2018 enorme Proteste gegen das Gesetz organisiert hatte, sagte, die harte Hand gegen das berechtigte Anliegen der Klimaschützer solle wohl "den Konservativen die nächsten Wahlen retten". Linken-Chefin Rupp wiederum, früher Landtagsabgeordnete der SPD, rügte, dass ihr beim Präventivgewahrsam "der Aufschrei" der grünen und sozialdemokratischen Landtagsopposition fehle.

Ein Vorwurf, der wohl dem aufziehenden Wahlkampf geschuldet ist und dem Versuch der Linken, 2023 erstmals in den Landtag zu kommen. Kürzlich bei einer PAG-Debatte im Plenum etwa machten die Oppositionsparteien ihre Haltung klar. "Ich muss Ihnen von der CSU sagen: Ihr verfassungsrechtlicher Kompass ist kaputt", sagte Katharina Schulze (Grüne). Der Präventivgewahrsam und seine Ausgestaltung habe mit "Rechtsstaatlichkeit gar nichts mehr zu tun". Horst Arnold (SPD) nannte das PAG "eine Geisel für das Verständnis zwischen Bürger und Polizei".

Bei den Gewahrsamnahmen gehe es darum, Straftaten oder konkrete Gefährdungen zu verhindern, betont die Staatsregierung stets, zum Beispiel Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Ziel sei es keineswegs, Proteste zu unterbinden. Und nichts geschehe ohne richterliche Anordnung. In Bayern können in Einzelfällen Personen etwa für bis zu 30 Tage in Präventivgewahrsam genommen werden, eine einmalige Verlängerung ist möglich. Angeordnet wurden die Maßnahmen in den vergangenen Jahren etwa auch wegen Stalking und befürchteter Straftaten im häuslichen Umfeld sowie während der Pandemie nach hartnäckigen Verstößen gegen Corona-Regeln.

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