Süddeutsche Zeitung

Gesundheit in Bayern:So wirkt sich die Angst vor dem Coronavirus auf den Freistaat aus

Lesezeit: 4 min

Ärzte bereiten sich vor, Hotlines sollen aufklären, soziale Netzwerke sind voll mit besorgten Beiträgen. Derweil spüren Hoteliers schon ganz real die Auswirkungen. Besonders deutlich wird das im Umkreis von Schloss Neuschwanstein.

Von Florian Fuchs, Maximilian Gerl und Dietrich Mittler, Agatharied/Füssen

Chefarzt Steffen Herdtle war gerade dabei, Gästen seine neugestaltete Notfallaufnahme vorzustellen, als am Mittwoch um 14.35 Uhr eine Oberärztin auf ihn zueilt und sagt: "Es ist so weit." Eine Frau, die im Verdacht steht, sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben, werde demnächst in der Notfallaufnahme im Krankenhaus Agatharied erscheinen - überwiesen von einer hausärztlichen Praxis. "Ich bin jetzt wirklich geschockt", sagt die Oberärztin. Was bislang nur ein Planspiel war, ist plötzlich Realität. Nun braucht es einen ruhenden Pol. "Wir werden jetzt erst einmal alle anderen Möglichkeiten abklären", sagt Herdtle, "die Influenza ist augenblicklich im Kommen." Und vor der habe er fast noch mehr Respekt als vor dem neuen Coronavirus.

Außerdem: Nach bisherigen Erkenntnissen habe sich die angekündigte Patientin nicht in China aufgehalten, sie habe wohl auch keinen Kontakt zur Risikogruppe gehabt. "Aber da sieht man mal, welche Ängste die Bürger umtreiben", sagt Herdtle. Im Gesundheitsamt im oberbayerischen Miesbach - zuständig für das Krankenhaus Agatharied - sei nach Bekanntwerden der fünf Infektionsfälle im Kreis Starnberg das Telefon zeitweise kaum mehr stillgestanden. "Wir haben in hohem Umfang Anfragen", bestätigte am Donnerstag ein Sprecher des Landratsamtes. Mittlerweile versuche man den Strom an Anfragen zu kanalisieren - durch gezielte Fachinformationen zum Coronavirus über die Homepage und über Facebook. Tipps zu Schutzmaßnahmen inklusive. Miesbach unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von anderen bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten. Auch im städtischen Gesundheitsamt von Nürnberg gehen seit Tagen die Anrufe besorgter Bürgerinnen und Bürger ein.

Die sozialen Netzwerke sind ebenfalls voll von Beiträgen zum Coronavirus. "Dort sind aber fast ausschließlich Behauptungen und Verschwörungstheorien zu finden", heißt es bei der DAK. Die Kasse will an diesem Freitag unter der Nummer 0800/ 1111 841 eine Hotline freischalten, um den Ängsten zu begegnen. Die Barmer hat schon seit Dienstag eine Coronavirus-Hotline eingerichtet, die rund um die Uhr unter 0800/84 84 111 erreichbar ist. Eine der häufig gestellten Fragen: Wie gefährlich ist das Coronavirus für mich? Nicht anders geht es bei der Hotline zu, die das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) unter der Nummer 09131/6808 5101 eingerichtet hat. Laut LGL gingen dort bislang "mehr als 500 Anrufe pro Tag" ein, wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums mitteilt.

Ganz andere Sorgen machen sich indes Bayerns Touristikmanager, die bislang auf die vielen Gäste aus China bauen konnten. Besonders deutlich wird dies im Umkreis von Schloss Neuschwanstein. Das Europaparkhotel in Füssen etwa ist auf Reisegruppen aus Asien, vor allem aus China, spezialisiert. 80 Prozent des Umsatzes machen diese Gäste aus. "Im Februar", sagt Hoteldirektor Fabian Geyer, "erwarten wir erhebliche Verluste." Es laufen zahlreiche Stornierungen ein, seit China ein Ausreiseverbot für Touristengruppen verhängt hat. Im Hotel haben sie Sicherheitsmaßnahmen ergriffen: Täglich wird desinfiziert, Zimmer, Lobby. "Wir wollen kein Risiko eingehen", sagt Geyer. In Füssen, sagt der örtliche Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier, erleben sie gerade eine paradoxe Situation. Bei internationalen Krisen sei es üblich, Reisen ins Krisengebiet abzusagen. Hier sei es anderes herum. In Füssen gibt es ja keine Probleme - aber die Touristen aus dem Krisengebiet kommen nicht mehr.

Das merkt die Stadt auch an Mindereinnahmen, was die Kurtaxe anbelangt. Das merken aber vor allem die Hotels, die sich auf die Reisegruppen spezialisiert haben, die so gerne nach Füssen reisen, auch um eine Tour durch Schloss Neuschwanstein zu machen. "Diese Hotels sind momentan wirklich stark betroffen", sagt Fredlmeier. "Aber wir haben ja noch Glück: Wenn das Virus ausbricht, hätten wir erst richtig ein Problem." Der Ticketverkauf am Schloss selbst ist noch nicht eingebrochen: Stornierungen gibt es, aber noch immer genug Tagesgäste. Die Zahl der chinesischen Gäste dürfte indes weiter sinken, mehrere Fluglinien - darunter die Lufthansa - haben ihre Verbindungen nach und von China reduziert oder gar eingestellt. Wer noch fliegt, meldet eine geringere Nachfrage.

Keine gute Nachricht also für Hoteliers und Gastwirte - nicht nur rund um Schloss Neuschwanstein: In der Landeshauptstadt München machen erfahrungsgemäß in normalen Zeiten zahlreiche chinesische Reisegruppen Station und geben dabei mitunter viel Geld aus: 777 Euro waren es im Schnitt pro Kopf im Jahr 2017, hat ein Marktforschungsunternehmen ermittelt. Wie groß die Auswirkungen auf die gesamte Branche letztlich sein werden, scheint derzeit schwer abschätzbar.

Kaum Auswirkungen auf den Betrieb meldet die Spielwarenmesse in Nürnberg. Die Veranstaltung gilt als eines der wichtigsten Branchenereignisse, entsprechend prominent sind Gäste aus Fernost vertreten. In einer Halle präsentieren sogar nur chinesische Firmen ihre Produkte. Von 360 Ausstellern aus China seien lediglich zwei nicht gekommen, sagten die Messeveranstalter der Deutschen Presseagentur. Allerdings hätten sich im Voraus zahlreiche Anrufer erkundigt, ob sie die Messe gefahrlos besuchen könnten.

Mit solchen Sorgen hält sich unterdessen Chefarzt Steffen Herdtle nicht auf. Es ist kurz vor 16 Uhr, und die angekündigte Patientin ist immer noch nicht da. Dafür geht nun immer wieder die Tür zur Notfallaufnahme auf - Rettungskräfte vom Bayerischen Roten Kreuz schieben auf ihren Tragen Patienten herein: darunter zwei Personen mit Lungenentzündung, die sogleich eine Schutzmaske aufgesetzt bekommen; eine Bäuerin, die sich im Stall verletzt hat, eine alte Frau mit einer Sepsis, deren Leben sich dem Ende zuneigt. Und dann doch, kurz nach 16 Uhr: der Coronavirus-Verdachtsfall, eine sportlich gekleidete junge Frau, beladen mit zwei Taschen.

Aus ihrem Blick lässt sich herauslesen, sie hat Angst. Offenbar hatte sie auf einer Almhütte übernachtet, auf der sich auch asiatische Gäste aufhielten. Und plötzlich bekam sie Fieber, fühlte sich elend. In der Hausarztpraxis wollte man kein Risiko eingehen - also Überweisung ins Krankenhaus. Herdtle ordnet an, die Patientin auf Influenza zu untersuchen. Nachdem im Nasen- und Rachenraum Abstriche genommen sind, kommt sie auf ein Beobachtungszimmer in Isolation. Dann endlich, 17.10 Uhr, das Testergebnis: Influenza. Mit einer Atemschutzmaske auf dem Gesicht darf die Frau die Station verlassen. Das Team von Chefarzt Herdtle ist längst wieder mit anderen Patienten beschäftigt.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2020
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