Süddeutsche Zeitung

Sozialpolitik:Bayern verfehlt eigene Zielsetzung bei Barrierefreiheit

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Bis zum Jahr 2023 wollte Bayern komplett barrierefrei sein - das klappt nicht. Der Sozialverband VdK kritisiert die mangelnde Umsetzung der Pläne der Staatsregierung. Doch die Sozialministerin kann keine Schlappe erkennen.

Von Johann Osel, Nürnberg/München

Obwohl die Staatsregierung ihr selbst gestecktes Ziel vom Jahr 2013 verfehlt, Bayern binnen zehn Jahren komplett barrierefrei zu machen, sieht Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) den Freistaat auf einem guten Weg. "Ja, es stimmt, 2023 war ein ambitioniertes, ehrgeiziges Ziel", sagte sie am Freitag bei einer politischen Großveranstaltung des Sozialverbands VdK in Nürnberg. Es sei aber "nicht so, dass wir nichts erreicht hätten" - so sei die Zugänglichkeit ohne Hürden bei 68 Prozent aller öffentlichen Gebäude gegeben, rund 50 Prozent der fast 1100 Bahnhöfe und Haltepunkte seien barrierefrei. Hier engagiere man sich, obwohl es eine Aufgabe der Deutschen Bahn sei. In den vergangenen acht Jahren habe Bayern 935 Millionen Euro für Barrierefreiheit ausgegeben, im Haushalt 2023 seien 140 Millionen Euro eingeplant. Scharf versprach eine "große Kraftanstrengung", es handele sich um eine "Daueraufgabe". Das verfehlte Ziel - vor zehn Jahren vom damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) verkündet - wertet sie offenbar nicht als Schlappe. Vielmehr habe dies "ganz gezielt eine Bewusstseinsbildung ausgelöst".

Der VdK hat die Spitzenkandidaten der Landtagsparteien mit Ausnahme der AfD zur Debatte in die Nürnberger Meistersingerhalle eingeladen - vor mehr als 2000 Mitgliedern. Für den CSU-Spitzenkandidaten Markus Söder kam die Ministerin in Vertretung. Das sei schade, sagte VDK-Präsidentin und Landeschefin Verena Bentele, zumal die Veranstaltung in Söders Stimmkreis stattfinde. Der Ministerpräsident "hätte die Chance gehabt, das sozialpolitische Profil der CSU auch als Chefsache zu zeigen".

Zur Barrierefreiheit sagte Bentele, es gehe keineswegs nur um Bahnhöfe, sondern eben auch um öffentliche Gebäude. "Wer würde den Brandschutz in Frage stellen? Niemand. Wer stellt die Barrierefreiheit in Frage? Finanzpolitiker zum Beispiel." Das finde sie "unerträglich", es handele sich um Zukunftsinvestitionen. Söder verfolge das Raumfahrtprojekt "Bavaria one", sie würde "Barrierefreiheit one" besser finden. Unterstützung kam von Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Sie forderte ein Barrierefreiheitsgesetz mit konkreten Zielen und Maßnahmen, "nicht immer nur hätte-könnte-wäre schön". Dazu gehörten etwa eine Schärfung der bayerischen Bauordnung und deutlich mehr Investitionen.

Auf dem Podium zu vielen sozialpolitischen Themen bekräftigte Hubert Aiwanger (FW) seine jüngste Idee, die Einkommenssteuer erst bei 2000 Euro beginnen zu lassen, um Geringverdiener zu entlasten sowie Rentner und Bürgergeldempfänger in den Arbeitsmarkt zu locken. "Gute Sozialpolitik ist gute Wirtschaftspolitik", sagte er. Florian von Brunn (SPD) attestierte Aiwanger einen "politischen Enkeltrick, um die Wählerstimme an der Haustür abzugreifen" - das Vorhaben sei nicht finanzierbar. Martin Hagen (FDP) tat unter anderem kund, die zuletzt debattierte Abschaffung des Ehegatten-Splittings sei "mit der FDP nicht zu machen".

Der VdK ist mit rund 790 000 Mitgliedern die größte sozialpolitische Interessenvertretung in Bayern. Allein im ersten Halbjahr 2023 fanden fast 185 000 Beratungen zum Sozialrecht in den VdK-Geschäftsstellen statt. Rente, Schwerbehinderung und immer stärker Pflege seien Schwerpunkte, hieß es, außerdem "eine offensichtliche Überarbeitung der Sozialbehörden". Bereits am Donnerstag hatte der VdK seine Forderungen zur Landtagswahl vorgestellt und eine "soziale Talfahrt" in Bayern beklagt. Als Beispiele nannte Bentele wie auch am Freitag in Nürnberg zunehmende Armut und eine kritische Lage bei der Angehörigenpflege. "Angesichts großer Alters- und Kinderarmut in Bayern kann von weiß-blauer Idylle keine Rede sein."

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