Süddeutsche Zeitung

Prozess in Bamberg:Tresor mit Abi-Aufgaben geknackt - Bewährungsstrafe für Ex-Schüler

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Im Mai 2020 sind sie in das Büro des Direktors eingebrochen und haben den Safe aufgesägt. Darin sollen Aufgaben aus dem Bereich Latein, Englisch und Deutsch gelegen haben. Nun hat das Gericht entschieden.

Von Olaf Przybilla

Bamberger können ja auf vieles stolz sein, die Rolle der Welterbestadt bei der Verfilmung des "Fliegenden Klassenzimmers" aber gilt schon als ausgesuchter Höhepunkt der Stadthistorie. An etlichen Orten wurde in den Siebzigerjahren mit Blacky Fuchsberger gedreht, etwa im Internat "Aufseesianum". Und so kommt es, dass mindestens Kästner-Liebhaber immer ein wohliges Gefühl mit dieser Stadt verbinden, das Gefühl einer füreinander sorgenden Schulfamilie, in der Lehrer irgendwie auch noch Schüler sind und man gemeinsam Schlaghose und Wollpulli zur Schau trägt. Wo dieses Schulfamiliengefühl - ohne Schlaghose - am ehesten noch Realität ist in Bamberg? Da würden viele sagen: am Kaiser-Heinrich-Gymnasium.

Damit ans Amtsgericht Bamberg, wo am Montag drei Angeklagte - Ex-Schüler des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums (KHG) - den Gerichtssaal betreten. Man sieht Masken und Kapuzen, der Anblick hat so gar nichts Wohliges. Auf dem Schildchen am Eingang ist nachzulesen, wofür sich die drei verantworten müssen vor den Jugendschöffenrichtern: besonders schwerer Fall von Diebstahl. Vor einem Jahr sollen sie die Abiaufgaben aus dem KHG-Tresor gestohlen haben - woraufhin in ganz Bayern neue Aufgaben gestellt werden mussten.

Vor dem Saal verfinstert sich der Blick einer zierlichen Frau, sie ist Mutter einer KHG-Schülerin und spricht von einer Zäsur. Das KHG, benannt nach dem Bamberger Kaiser Heinrich II., wurde vor mehr als 400 Jahren als Collegium Ernestinum gegründet, man legt Wert auf humanistische Tradition. Wer da schon alles Spuren hinterlassen hat: Georg Simon Ohm, der Physiker, hat dort unterrichtete, ihre Abiturprüfung haben am KHG nicht nur der nachmalige bayerische Ministerpräsident Hans Ehard und der spätere Bundesjustizminister Thomas Dehler abgelegt, auch die Bestsellerautorin Tanja Kinkel und die Europaministerin Melanie Huml sind Ehemalige. Das Besondere? Die Tradition, sagt die Mutter der KHGlerin, aber auch die überschaubare Schulgröße und das "gegenseitige Vertrauen" innerhalb der Schulfamilie. Aber das gelte eben immer nur so lange, bis es missbraucht werde. Daher nun die Zäsur.

Die Angeklagten sollen es erstmals 2019 missbraucht haben, wobei es da noch kein klassischer Vertrauensbruch war. Eher ein Ausnutzen baulicher Gegebenheiten an Schulgebäuden im Kulturstaat Bayern. "Den Einstieg" ins Schulhaus "fanden die drei Angeklagten über die Fenster, die sich aufgrund ihres Alters leicht aufschieben ließen", formuliert die Staatsanwältin Magdalena Becker. Bei diesem ersten Nachtbesuch soll schlicht die Neugierde, Räume "zu durchkämmen", das Movens gewesen sein. Wobei die Schüler die Schule wohl hinreichend kannten. Aber eben nicht nachts.

Aber wie es oft so ist, die Neugierde war danach eher angestachelt. Und so kam's wirklich zum Vertrauensbruch: Laut Anklage lieh sich einer der Schüler unter Vorwand den Generalschlüssel im Sekretariat aus, auf der Schultoilette fertigen die Angeklagten dann Lichtbilder und mithilfe von Knetgummi-Abdruck-Sets einen Negativabdruck an. Der Bleischlüssel funktionierte nicht, also beschaffte man sich kopierte Schlüssel mithilfe des Fotos im Internet. Und danach ging's dann richtig los: Mehrmals stiegen die drei nachts ins KHG ein, bald mit dem festen Plan, Abituraufgaben abzugreifen - ohne dass es einer merkt. Mithilfe einer Flex wurden Sideboards im Direktorat geöffnet und wieder fachmännisch verschlossen, bis zwei der Angeklagten am 16. Mai 2020 gegen drei Uhr frühs im Wandschrank ihres Schulleiters einen 50 Kilogramm schweren Stahl-Tresor entdeckten, diesen per Rollcontainer in den Hausmeisterwerkstattraum verbrachten, dort aufsägten, die Kuverts mit Deutsch-, Englisch- und Latein-Abiaufgaben sichteten und den Tresor wieder verschlossen.

Aufgefallen ist die Aktion trotzdem; und nachdem sich einer der drei zudem über einen Schulcomputer Zugriff aufs schulische Online-Netzwerk verschafft hatte, waren digitale Fahnder alsbald erfolgreich. Einen Tag vor Abiturbeginn hatten sie freilich auch Teilnehmer eines gymnasialen Technikkurses im Visier, zu Unrecht. "Um sieben Uhr frühs standen Ermittler vor unserer Tür", berichtet ein Vater - "ein schockierender Moment". Sein Sohn bewies Nerven, begann tags darauf mit den Abiaufgaben und schnitt am Ende mit 1,2 ab.

Die Angeklagten räumen die Vorwürfe ein. "Abenteuerlust" habe sich verselbständigt, man entschuldige sich. Das Gericht verurteilt zwei früheren Schüler zu Bewährungsstrafen von neun Monaten, den dritten Angeklagten zu sechs Monaten. Sie hätten eine geplante Tat mit "krimineller Energie" begangen, befindet Richter Martin Waschner. Das Abitur von zwei Beteiligten wurde nicht gewertet, sie wollen es nun nachholen. Waren die Sicherheitsvorkehrungen zu lax im KHG? So etwas könne "in jeder Schule passieren", sagt Direktor Michael Strehler.

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