Süddeutsche Zeitung

Direkte Zugverbindung Frankfurt-Marseille:Der Grenzfahrer aus dem Elsass

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An diesem Freitag fährt der erste Zug direkt von Frankfurt nach Marseille - mit Hochgeschwindigkeit. Der Lokführer heißt Claude Buchi, spricht deutsch und französisch, kann TGVs und ICEs steuern. Wenn er den Zug über die Grenze fährt, gelten andere Regeln.

Michael Kläsgen, Paris

In weniger als acht Stunden von Frankfurt am Main ans Mittelmeer: An diesem Freitag starten SNCF und Deutsche Bahn (DB) die direkte Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen der Main-Metropole und Marseille - via Mannheim, Karlsruhe, Baden-Baden, Straßburg, Besançon, Lyon, Avignon und Aix-en-Provence. Zunächst ist täglich eine Hin- und Rückfahrt im Programm. Ab Straßburg rollt der TGV auf der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse TGV-Rhin-Rhône, die im Dezember in Betrieb genommen wurde.

Claude Buchi ist seit 21 Jahren Lokführer der französischen Bahn SNCF. Und in gewisser Weise ist er jetzt einer der Botschafter der neuen deutsch-französischen Bahn-Freundschaft. An diesem Freitag wird der 49 Jahre alte Elsässer die neue Direktverbindung zwischen Frankfurt und Marseille miteinweihen. Rüdiger Grube, der Chef der Deutschen Bahn (DB), habe sich persönlich dafür eingesetzt, dass er mit von der Partie ist, erzählt Buchi. Beide lernten sich Anfang Februar kennen. "Wollen Sie auch den französischen Bahn-Chef kennenlernen?", hatte ihn Grube damals gefragt. Buchi zögerte nicht. Und so wird der Elsässer an diesem Freitag erstmals auch seinem eigenen Chef Guillaume Pépy die Hand schütteln können.

Buchi spricht perfekt deutsch. Er kennt alle Fachtermini. Er sagt "Triebfahrzeugführer" und nicht Lokführer. Er war auch schon dabei, als die Schnellverbindung Paris - Frankfurt beziehungsweise Paris - Stuttgart eingeweiht wurde, im Juli 2007. Wenn er über die Grenze fährt, wechselt er aber nicht nur die Sprache, sondern er muss sozusagen auch einen Schalter im Kopf umlegen. "Außer dass die Züge der SNCF und der DB auf Schienen fahren und die Spurweite gleich ist, ist eigentlich alles anders. Beide haben zwei ganz unterschiedliche Philosophien."

In Deutschland so, in Frankreich so

So muss der Lokführer in Deutschland dann, wenn etwas passiert, sofort die Strecke räumen und danach erst nach dem Problem suchen. In Frankreich hingegen ist vorgeschrieben, auf der Strecke zu halten und dann zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Bei einem "Heißläufer", einem heißgelaufenen Radlager, muss in Deutschland maximal abgebremst werden, in Frankreich nur minimal. Kommt es zu einem Schleifleistenbruch, meldet in Frankreich der Stromabnehmer die Stelle. In Deutschland muss der Zug anhalten und einen Notruf melden. Buchi sagt: "Ich weiß nicht, welches System besser ist. Jedes hat Vor- und Nachteile."

Er darf sich auch bei den routinemäßigen Handgriffen nicht vertun. Beim ICE ist die Bremse rechts, beim TGV links, dafür ist die Hupe beim TGV rechts und beim ICE vorn. Beim TGV muss er viele Knöpfe bedienen. "Jedes System hat seinen Knopf", sagt Buchi. Beim ICE läuft alles über Display, auch die Heizung der Windschutzscheibe. Dadurch sieht der Lokführer im TGV im Übrigen weniger als im ICE3, weil in Frankreich ein zusätzlicher Schutz für den Lokführer angebracht ist. Buchi lacht. Ein wichtiger Vorteil des ICE aber sei, dass der Zugchef dem Lokführer einen Kaffee bringen kann. Im TGV gibt es keine Tür in Richtung Triebkopf.

Die Jungfernfahrt verläuft nicht strikt nach Plan

Buchi kommt aus Straßburg und wird dort an diesem Freitag in den ersten aus Marseille kommenden Zug zusteigen. Er wird ihn nach Frankfurt fahren. Bei dieser Eröffnungsfahrt wird alles ein wenig anders ablaufen, als es sein Dienstplan für gewöhnlich vorsieht. Normalerweise hat er in Frankfurt zwei Stunden Pause und fährt dann weiter nach Paris und am Folgetag wieder zurück. Die Strecke Frankfurt - Marseille wird also voll eingegliedert in die seit 2007 bestehende Kooperation der Deutschen Bahn und der SNCF namens Alleo. "Das ist die Zukunft Europas, dass immer mehr Züge grenzüberschreitend verkehren", sagt Buchi. Damit das auch funktioniert, haben SNCF und DB schon vor einiger Zeit begonnen, zweisprachige internationale Lokführer auszubilden. Buchi selbst hat den dafür nötigen Führerschein der Klasse drei bereits seit 1995 und darf damit in ganz Deutschland fahren.

Lange haben sich DB und SNCF beharkt, und sie tun es teilweise noch heute. Aber seit einigen Monaten herrscht doch in wesentlichen Punkten Einmütigkeit. Die wachsende Konkurrenz für die beiden Marktführer in Europa hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sie sich aufeinander zubewegten. So verficht SNCF-Chef Pépy nun vor der EU-Kommission in Brüssel das sogenannte "integrierte" Modell der DB. Integriert heißt: Bahn-Konzern mitsamt Schienennetz. In Frankreich ist das Netz vom Fahrbetrieb getrennt. Pépy möchte das ändern - gegen den Willen der Brüsseler Kommission. Vor einigen Jahren hätten das viele für undenkbar gehalten. Buchi sagt es so: "Wenn man von beiden Ländern das Beste nehmen würde, könnte man was fast Perfektes erreichen."

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Quelle:
SZ vom 23.03.2012
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