Süddeutsche Zeitung

Neue Motoren:Diesel am Wendepunkt

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Wird der saubere Diesel zu teuer für die Kompaktklasse? Der neue VW Golf 2.0 TDI und der Mazda 3 Skyactive X geben darauf zwei sehr unterschiedliche Antworten.

Von Joachim Becker

Ist der Diesel in der Kompaktklasse noch zu retten? Nach dem Höllensturz des Abgasskandals hatte der einstige Hoffnungsträger mehr als nur eine Image-Delle. Zur Vertrauenskrise kamen auch die konkreten Hürden der neuen Abgasnorm Euro 6d-Temp: Seit September müssen alle Diesel-Neuwagen im Alltag genauso sauber sein wie auf dem Prüfstand. In der Praxis lassen sich die strengen Stickoxid-Limits aber nur mit hohem technischen Aufwand einhalten.

Einige Kleinwagenhersteller haben den Diesel bei Stadtflitzern deshalb bereits ausgemustert: Zu teuer! Auch das trägt dazu bei, dass nur noch jeder dritte Neuwagen in Deutschland mit einem sparsamen Ölbrenner ausgeliefert wird - in Spitzenzeiten waren es rund die Hälfte. Wenn die Abgasanforderungen im nächsten Jahr weiter verschärft werden, könnte das Dieselsterben in der Kompaktklasse weitergehen. Was für die CO₂-Flottenemissionen genauso schlecht wäre wie für das globale Klima: Vom Diesel-Rückgang profitieren weniger die Elektrofahrzeuge als die durstigen Benzinermodelle.

Verbrenner-Pkw haben ihren Zenit überschritten, aber sie werden noch eine ganze Zeit lang gebraucht. Bis auf weiteres können Elektroautos den Klimaschutz nicht alleine schultern. Dafür ist der Stromer-Anteil mit zuletzt 1,7 Prozent am Gesamtmarkt viel zu gering. Obwohl der vollelektrische VW ID 3 fast synchron mit dem neuen Golf 8 startet, setzt VW große Hoffnungen in eine neue Generation von Verbrennern. Nur mit Mühe wird VW 2020 die geplanten 100 000 Stromer produzieren, weil sich der ID -Anlauf bis zum Sommer verzögert. Der Golf soll dagegen wie in den Vorjahren gut 800 000 Mal vom Band laufen - rund ein Drittel davon als Diesel. Das Volumenmodell wird im nächsten Jahr also ausschlaggebend für die Flottenemissionen sein. Wo jedes Gramm CO₂ zählt, ist der Diesel hoch willkommen. Denn die Effizienz-Gewinne des Selbstzünders sind immer wieder erstaunlich.

Man muss die Relationen im Auge behalten: Beim konventionellen Benziner sind die Fortschritte bescheiden, ohne Elektrifizierung geht wenig. Nur mit einem Mild-Hybrid kann VW den Durst der e-TSI-Benziner um knapp zehn Prozent zügeln. Die Energierückgewinnung mit Hilfe eines 48-Volt-Bordnetzes gelingt im Stadtverkehr am besten. Auf der Autobahn bringt die kleine Batterie zum Rekuperieren nicht viel. Der zusätzliche Partikelfilter für die Ottomotoren fordert beim Verbrauch außerdem seinen Tribut.

Der Diesel spart dagegen bei jedem Tempo: Trotz modernster Methoden zur Abgasreinigung gibt sich der 2.0 TDI mit 17 Prozent weniger Kraftstoff zufrieden. 3,7 Liter auf 100 Kilometer sind ein Wert, den konventionelle Benziner mit 110 kW (150 PS) Leistung nie erreichen werden. Der CO₂-Ausstoß von 97 g/km ist eine Punktlandung: Diesen Wert muss VW spätestens 2021 mit der gesamten Flotte erreichen. Und ein Radius von 1000 Kilometer mit kuscheligem Klimakomfort ist für den Ölbrenner auch kein Problem.

Zwei Katalysatoren sollen den VW-Diesel sauberer machen

Dass Volkswagen seine Hausaufgaben auch bei der Abgasnachbehandlung gemacht hat, zeigt das sogenannte Twindosing: Zwei Katalysatoren - einer im Partikelfilter direkt hinter dem Motor und einer im Fahrzeugunterboden - reduzieren die Stickoxide bei jedem Tempo zuverlässig um 80 Prozent. Den doppelten Katalysator gab es bisher nur bei größeren Luxusautos. Er ist die Voraussetzung, um die nächste Abgasnorm Euro 6d zu erfüllen. Tatsächlich sind die Abgase neuer Dieselmodelle schon jetzt in vielen Fällen sauberer als die eingesaugte Stadtluft. Sie können die Luft von Feinstaub reinigen, ergab eine Untersuchung von Emissions Analytics. Über eine Million dieser Saubermänner mit Euro 6d-Temp sind bereits unterwegs. Mit dem Golf als Marktführer dürfte die Zahl der Diesel-Neuwagen wieder wachsen. Denn der befürchtete Preisanstieg für den Super-Selbstzünder ist ausgeblieben. Die Wolfsburger rufen in der mittleren Life-Ausstattung 33 800 Euro für den 2.0 TDI mit Doppelkupplungsgetriebe auf.

Im Preis inbegriffen sind frühere Extras wie digitales Cockpit, Klimanalage, Keyless-Go, LED-Scheinwerfer, Navigationssystem, DAB+Radio, Sprachbedienung, Spurhalteassisten und Verkehrszeichenerkennung. Unterm Strich ist der Golf nicht nur sauberer, sondern auch günstiger geworden.

Der Diesel bleibt also interessant. Etwa für Vielfahrer, die mit den winterlichen Reichweiten von Elektroautos nicht glücklich werden. Oder für Laternenparker, denen die Ladeinfrastruktur noch zu lückenhaft ist. Dass Diesel in der Klimabilanz besser abschneiden als Stromer, ist allerdings ein alter Hut. Meist werden für die Zellproduktion zu hohe und nicht mehr aktuelle CO₂-Werte angesetzt. Das belegt eine neue Studie des viel zitierten IVL-Instituts aus Schweden. Aktuelle Flottenergebnisse aus den USA zeigen zudem, dass Tesla-Modelle über eine halbe Million Kilometer ohne Batterieprobleme laufen können. Was die hoch gezüchteten Turbo-Direkteinspritzer von heute mit ihren aufwendigen Abgasnachbehandlungssystemen erst noch beweisen müssen.

Die eigentliche Hürde für Selbstzünder wird die neue Abgasnorm Euro 7, die voraussichtlich 2023/24 in Kraft treten wird. Sie soll die Abgasanforderungen in der Warmlaufphase weiter erhöhen. Um das System in Sekundenschnelle auf 200 Grad Betriebstemperatur zu bringen, wird der Euro-7-Diesel wohl einen beheizten Katalysator brauchen - billiger wird er dadurch nicht.

Mazda geht jetzt einen neuen Weg, um das Kostenproblem zu lösen: Der Mazda 3 Skyactive-X 2.0 M Hybrid will die Emissionsvorteile des Benziners mit der Effizienz eines Diesels verbinden. Ein 24-Voltsystem spart etwas Sprit, doch den entscheidenden Vorteil soll eine Kompressionszündung nach dem Vorbild des Ölbrenners bringen. Ein ähnlicher "Diesotto"-Prototyp hat es bei Mercedes nie in die Serie geschafft, auch sonst sind Selbstzündungen bei Otto-Entwicklern gefürchtet: Das leicht entflammbare Benzin neigt bei großer Hitze zu unkontrollierten Explosionen. Um Schäden im Zylinderkopf zu vermeiden, wird bei Autobahngeschwindigkeit zusätzlicher Kraftstoff eingespritzt. Diese innermotorische Kühlung wird Anfetten genannt und macht genau das: Den Spritverbrauch heben statt senken.

Der Gegensatz von Anfetten sind sogenannte "Mager"-Konzepte. Ideal ist hier der Diesel, der ein Gemisch mit hohem Luftüberschuss gleichmäßig verbrennen kann. Weil er dem Kraftstoff enormen Druck macht, kann er auf Zündkerzen verzichten. Der Mazda-Vierzylinder behält zwar seine kleinen Feuerspucker, kommt aber auf ein ähnlich mageres Gemisch: Mit 16,3 Teilen Luft zu einem Teil Kraftstoff entspricht er dem Diät-Ideal eines Diesels, normale Ottomotoren kommen kaum über 12:1 hinaus. Erst bei höheren Drehzahlen oder Lasten läuft der Motor im herkömmlichen Ottomodus.

Die deutschen Hersteller haben frühere "Mager"-Konzepte wieder aufgegeben, weil der Fahrspaß auf der Streck blieb. Ihre Lösungen sind heute fast durchweg Turbo-Direkteinspritzer mit hohem Drehmoment und einer großen Getriebeübersetzung. Das klingt nach "Schongang", tatsächlich bedeutet es aber schaltfaules Surfen auf der Drehmomentwelle. Diesen Vorzug kann der Mazda nicht bieten: Sein Drehmoment von 224 Nm ist zwar typisch für einen Saugmotor - spritzig ist es aber nicht. Der Fahrer fragt sich, wo sich die 132 kW (180 PS) verstecken, weil er ständig den Schaltknüppel bemühen muss, um den Zweiliter bei Laune zu halten.

Unterm Strich verbrauchte der SZ-Testwagen gut sieben Liter auf 100 Kilometer - bei eher ruhigem Mitschwimmen im Pendelverkehr. Das Magazin Auto Motor und Sport kam auf 6,5 Liter in diesem Fahrprofil, der WLTP-Normwert liegt bei 5,8 L/100 km. Im bisherigen NEFZ-Zyklus bringt es der Mazda auf 5,1 L/100 km, er profitiert also von den praxisfernen Testbedingungen. Die entsprechenden CO₂-Emissionen von 103 g/km liegen nahe am europäischen Zielniveau für das nächste Jahr. Das schafft sonst kein Ottomotor ohne (Voll-)Hybrid. Und der Grundpreis des gut ausgestatteten Mazda 3 Skyactive-X 2.0 M Hybrid ist mit 28 590 Euro nicht höher als der eines Golf-TSI Benziners.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019
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