Süddeutsche Zeitung

Deutsche Elektroauto-Offensive:Ideenstau an der Steckdose

Lesezeit: 4 min

Aufholen heißt nicht Überholen: Sechs Jahre nach der Premiere des Model S fordern Audi mit dem E-tron und Mercedes mit dem EQC den Elektroauto-Pionier Tesla heraus. Kann das gelingen?

Von Joachim Becker

Deutschland feiert: 130 Jahre hiesige Elektroautos; jedes dritte Patent weltweit zur E-Mobilität kommt aus dem Land, in dem das Auto erfunden wurde. Erfolgsgeschichte haben die Stromer aber woanders geschrieben. Weil sie nicht nur das Klima retten, sondern auch Spaß machen sollen: Total digital, superschnell und trotzdem leise - ein iPhone auf Rädern eben, das mit Computer-Batterien fährt. "Die Welt hat in der Illusion gelebt, dass Elektrofahrzeuge nicht so gut sein können wie Autos mit Verbrennungsmotoren", so der Tesla-Gründer Elon Musk, "das Model S zeigt, dass ein Elektroauto das beste Auto der Welt sein kann."

Musks gewohnt vollmundiger Ausspruch ist sechs Jahre alt. Er stammt von der Auslieferung der ersten Limousinen im Juni 2012. Tesla hat das geschafft, wovon alle Autohersteller ständig reden: eine besondere automobile Erlebniswelt. Die Newcomer wurden erst skeptisch beäugt und dann - wie der frühere Apple-Chef Steve Jobs - heftig kopiert. Was Audi und Mercedes nun als Gegenentwürfe präsentieren, ist keine Revolution. Das Original kommt weiterhin aus Kalifornien.

Weder der Audi E-tron, der Ende des Jahres in den Verkauf geht, noch der Mercedes EQC, der im nächsten Frühjahr folgt, sind bei Design oder Technik echte Überflieger. Als einzige "Welt-Innovation" muss ein virtueller Außenspiegel herhalten: Kleine, windschlüpfrige Kameras ersetzen beim E-tron die Rückspiegel an den Türen, ihre Bilder erscheinen auf OLED-Displays im Interieur. Neue Rekorde bei der elektrischen Reichweite oder besser noch bei der Energieeffizienz sucht man vergebens, lediglich die maximale Ladeleistung von 150 kW ist beim E-tron besser als bei Tesla. Kaufentscheidend ist ein solcher Wert nicht, weil entsprechende Superschnelllader noch rar sind.

Statt Tesla mit Innovationen zu überholen, verschanzen sich die deutschen Premiummarken hinter ihrem Qualitäts- und Komfortanspruch: "Vorsprung bedeutet nicht automatisch, dass man der Erste sein muss", so Audis Interimschef Bram Schott, "Vorsprung bedeutet vielmehr: Der Erste sein, der eine Sache richtig macht." Ein Seitenhieb auf Tesla bei der Audi-Premiere in San Francisco. Für viele Elektro-Pioniere war das Gefühl, Erster einer neuen Zeit zu sein, entscheidend. Trendsetter genügen aber nicht, um die Elektromobilität aus der Nische zu holen - und den Bau von Elektroautos profitabel zu machen.

Audi und Mercedes versuchen, ein eher konservatives Klientel zum Umstieg auf den emissionsfreien Antrieb zu bewegen - und werben mit erstaunlich ähnlichen Slogans: "Electric has gone Audi" und "Electric now has a Mercedes". Keine Experimente also. Im wichtigsten Elektromarkt China stehen Markenprestige und Familienähnlichkeit hoch im Kurs. Statt die Kunden mit neuen Proportionen oder futuristischen Innenräumen zu verschrecken, wird der bekannte Luxus-Appeal nur ein bisschen progressiver getönt. Also bekommt der Grill des Mercedes GLC eine schwarze Kunststoffschürze, die Leuchtengrafik wird ein wenig geändert und die Lüftungsdüsen mit Lamellen in Roségold verziert. Fertig ist der neue Plattformbruder.

Neues Deutschland: Der BMW iNext ist noch eine Studie und soll 2021 auf den Markt kommen.

Audi E-tron ist von Anfang des nächsten Jahres an erhältlich.

Ebenso Mercedes EQC.

Audi und Mercedes positionieren ihre neuen Stromer am oberen Ende der Modellpalette: Ein deutliches Signal an alle, die nicht als Testkunden mit unausgereiften Produkten herumfahren wollen. Es ist aber auch das Eingeständnis, noch keine erschwinglichen Elektroautos auf dem Preisniveau von konventionellen Modellen bauen zu können. Sowohl der E-tron als auch der EQC gehen hochmotorisiert mit 300 kW Leistung an den Start. Audi hat bereits einen Grundpreis von 79 900 Euro genannt, der Mercedes wird nicht viel billiger sein. Erst 2020 folgt bei Audi ein kompaktes Elektroauto auf Basis des VW I.D., wenig später dürfte Mercedes mit seinem "Volksstromer" EQA folgen. So lange brauchen die Stuttgarter, um ihren Elektrobaukasten EVA1 (Electric Vehicle Architecture) zu einer flexiblen Multi-Traktions-Plattform weiterzuentwickeln (EVA 2). Batteriepakete, Elektromotoren und Fahrwerksbauteile können dann über mehrere Baureihen ausgetauscht werden. Mit den höheren Stückzahlen sinken die Preise.

Gefangen in alten Plattformen

Der E-tron auf Basis des Audi Q5 und der EQC auf Basis des Mercedes GLC sind noch in ihren alten Plattformen gefangen. Wie eng dieses Korsett ist, zeigt ein Blick unter die Haube des EQC. Statt ein innovatives Innenraumkonzept mit durchgängig ebenem Boden und viel (Fuß-)Raum zu entwerfen, mussten die Ingenieure den klassischen Getriebetunnel mit einer Stahlkonstruktion nachbauen. Nur so entwickelt der Batteriewagen beim Frontaufprall die gleiche Schutzwirkung wie ein GLC mit Verbrennungsmotor und Kardantunnel als zentralem Lastpfad. Auch die hohe Front ist ein Tribut an die alte (Crash-)Architektur: Weil die Elektromotoren an der Vorder- und Hinterachse relativ klein bauen, wird unter der Motorhaube viel Luft spazieren gefahren. Eine niedrige Dachlinie wie beim Model S war für die Ingenieure ebenfalls unerreichbar: Die Kalifornier verwenden als einzige kleine Rundzellen. Damit passt ein großer Energievorrat in einen Flachbodenspeicher, der ähnlich wie ein Skateboard aussieht.

Sechs Jahre hat Mercedes für eine Antwort auf Tesla gebraucht. Vor zwei Jahren dachte Daimler-Chef Dieter Zetsche laut über "ein neuartiges Gesamterlebnis von Mobilität" nach: "Vernetzung, autonomes Fahren, Sharing und Elektromobilität haben das Potenzial, die gesamte Automobilindustrie auf den Kopf zu stellen. Aber die wahre Revolution ist die Verbindung dieser Aspekte in einem umfassenden, nahtlosen Paket." Eine schöne Idee, doch die mehr als zehn Jahre alte Plattform des GLC beziehungsweise der alten C-Klasse (Baureihe 204) macht automatisiertes Fahrens auf höherem Niveau unmöglich. Außerdem beschränkt sie das Batterievolumen auf 80 Kilowattstunden. Die maximale Reichweite von 400 Kilometern im WLTP-Zyklus im E-Tron und im GLC wird von Teslas Topmodellen locker überboten. Und das innovative, sprachbasierte Infotainmentsystem MBUX samt der angeschlossenen Dienste kann man genauso gut in der neuen Mercedes A-Klasse erleben. Auf das "neuartige Gesamterlebnis von Mobilität" müssen die Kunden also weiter warten.

Genau das war wohl der Grund, warum der damals neue BMW-Chef Harald Krüger im Herbst 2015 alle geplanten Elektromodelle auf Eis legte. Das Ergebnis des Strategieprozesses ist der selbstfahrende BMW iNext, der 2021 in den Handel kommt. Das Batterieauto im Format eines X5 soll nicht mehr kosten als der große SUV (jeweils ohne Autopilot). Bei der Vorstellung einer entsprechenden Design-Studie kursieren erste Zahlen: Das Spitzenmodell soll in vier Sekunden von 0 auf Tempo 100 beschleunigen und mehr als 600 Kilometer weit kommen. Wichtiger als dieses Sportabzeichen ist aber das neue Lounge-artige Interieur mit allerlei digitalen Spielereien. Ein iPhone auf Rädern, das Gefahrenwerden zu einem neuen Erlebnis machen soll. Damit geht das Rennen in die nächste Runde. Und Deutschland hat vielleicht wirklich Grund zu feiern.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2018
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