Süddeutsche Zeitung

Ausblick: Studie Urban Sphere:Audi macht sich locker

Lesezeit: 4 min

Elektrisch, stylish und luxuriös: Die Modelle der Zukunft sollen zu Designobjekten werden. Die angekündigte Studie Urban Sphere zeigt eine moderne Wohnlandschaft auf Rädern.

Von Joachim Becker

Männer, die auf Maschinen starren. "Ich habe die ersten Hochdrehzahlmotoren für den Audi R8 mit entwickelt", sagt Technik-Vorstand Oliver Hoffmann, "das war für mich als junger Ingenieur extrem emotional und faszinierend." Hoffmann ist kein Einzelfall, die deutschen Autobosse sind fast durchweg gelernte Maschinenbauer. Wer nach oben kommen will, muss die Corps-Merkmale vorweisen: technisches Studium, etwas Thermodynamik, Motorsport und ein paar Jahre Heavy Metal in der Autofabrik - immer da, wo es kracht und stinkt.

Diese Burschenschaft soll jetzt das stemmen, was VW-Konzernlenker Herbert Diess eine "Jahrhundert-Transformation" nennt? "Software wird das große Unterscheidungsmerkmal", schreibt Diess auf Twitter. Künftig konkurrierten die Autohersteller nicht mehr um PS und Drehmoment, sondern um die Leistungsfähigkeit ihrer digitalen Betriebssysteme. Autonomes Fahren spiele dabei eine zentrale Rolle. Eine Kehrtwende zweifellos: Die Autofahrer starren nicht länger auf die Straße - und die Entwickler nicht länger auf die Motorhaube.

"Vorsprung durch Technik" war gestern, der Abschied vom Verbrennungsmotor ist nur der erste Schritt. "Das ist ein Stück weit Trauer und zugleich die Freude auf etwas Neues", sagt der heute 44-Jährige Hoffmann. "Wir stehen an einem Punkt, der vergleichbar mit dem Verbrennungsmotor vor 50 Jahren ist. Da liegt noch so viel Potenzial in der Technologie, das ist spannend als Ingenieur."

Hoffmann war von 2012 bis 2014 Vorstandsassistent bei Rupert Stadler, dann ging er als Leiter der Antriebsentwicklung nach Ungarn und führte die Rennsportabteilung. "Audi ist eine Designmarke", sagt er heute zur Überraschung seiner Gesprächspartner. Für einen Vollblut-Techniker kommt das einem Offenbarungseid nahe.

So tiefgreifend seine persönliche Antriebswende auch sein mag, so wenig hat sich für die Passagiere geändert: Elektromobilität sei zwar der logische nächste Schritt, aber eher "eine Evolution des Bekannten". Der wirkliche Umbruch, "Audi 2.0", wie er es nennt, kommt als 180-Grad-Kehre. Dann, wenn der Fahrer mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt.

"Automatisiertes Fahren ist der Gamechanger! Für das Individuum, für die Gesellschaft - und nicht zuletzt für die gesamte Automobilindustrie", prophezeit der Chef-Entwickler, "es wird unser Verständnis von Mobilität komplett neu prägen." Wann dieser iPhone-Moment kommt, an dem Autos mit Lenkrad und Gaspedal plötzlich alt aussehen? Das ist die Billionen-Euro-Frage.

Neue Konkurrenten wie der Computer-Riese Apple beginnen mit einem weißen Blatt Papier. Sie entwickeln das, was sie am besten können: ein Zentralhirn, Software und Cloud-Systeme. Apples Computer-Chip für das autonome Fahren ist laut Medienberichten gerade fertig geworden. Alles Weitere findet sich schon (im eigenen Konzern-Regal). "Ich mache mir manchmal große Sorgen um unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber neuen Wettbewerbern", gibt Herbert Diess zu. Wenn er einen Fahrroboter bauen will, dann renoviert er erst einmal eine alte Nutzfahrzeugfabrik in Hannover. Ein Bild mit Symbolkraft. Dass er den Konzern "mit neuer Dynamik und nicht mit 70-80 Jahre alten Strukturen" in die Zukunft führen will, sorgt immer wieder für Ärger.

Diess ist letztlich nur der Überbringer der schlechten Botschaft: Sie gilt mehr oder weniger für die gesamte deutsche Autoindustrie. Beispiel Mercedes: Die Stuttgarter haben die weltweit erste Zulassung für hoch automatisiertes Fahren auf der Autobahn erhalten. Eine "Mondlandung" nennt Mercedes-Entwicklungschef Markus Schäfer das Projekt. Das Problem mit der Mondfähre made in Germany: Sie sieht aus wie jede andere S-Klasse-Limousine auch. Vor allem fehlen maßgeschneiderte, maximal effiziente Chips und ein Betriebssystem, dass die Rechner nicht mit KI zur Weißglut treibt. Sprich: die Batterien beim autonomen Fahren leersaugt.

Geht die Schleuderwende in den Köpfen schnell genug? Auch Audi betreibt gerne Camouflage an alte Auto-Konventionen: Unter der langen Motorhaube des Audi A6 e-tron Concept hätte auch ein Reihen-Sechszylinder Platz. Was ziemlich sinnfrei ist, denn das E-Auto wird in knapp zwei Jahren die neue 800-Volt-Plattform des Konzerns (PPE) pilotieren. Design-Innovationen gibt es höchstens im Innenraum: Die große Mattscheibe aus Audis offener Skysphere-Studie wird sich im A6/Q6 e-tron wiederfinden.

"Im Augenblick sind alle Autohersteller - auch bei neuen Elektromodellen - noch sehr klassisch unterwegs", bestätigt Oliver Hoffmann, "das wird sich aus unserer Sicht wandeln. Wir werden andere Interieur-Konzepte sehen." Mercedes hat mit dem EQS einen ersten Schritt gewagt: In dem leicht futuristischen Stromlinienwagen streckt sich eine gläserne Touch-Armaturentafel von einer Tür zur anderen. "Wir hätten uns nie träumen lassen, welchen Hype dieser Hyperscreen auslöst", bekennt Markus Schäfer: Mehr als jeder zweite Kunde entscheide sich für die Riesen-Mattscheibe, obwohl sie 8500 Euro Aufpreis koste: "Die Preisbereitschaft der Kunden im Tech-Bereich ist sehr groß."

Im Grunde unterscheiden sich Audi, BMW und Mercedes nur wenig. Sie sprechen einen ähnlichen Kundenkreis an und verkaufen jeden dritten Wagen in China. "Speziell in China muss es einfach modern sein und E-Mobilität ist dort ein Ausdruck von Modernität", erklärt Oliver Hoffmann. Der Lifestyle der jungen Reichen in Asien und in den USA wird immer luxuriöser, da stören rund zehntausend Euro Aufpreis für das hoch automatisierte Fahren nicht weiter. Das versenkbare Lenkrad wird also wie die E-Mobilität bald zum Standard in dieser Klasse. Wenn der Fahrer die Hände und den Kopf frei hat, dann entscheidet das (Digital-)Design. Und das Auto-Biedermeier hat ausgedient.

"Wir werden uns in Zukunft ein Stück weit höher positionieren", erklärt Hoffmann - was für BMW und Mercedes genauso gilt. Wie zum Beweis hat Audi im vergangenen Sommer die Studie Grandsphere präsentiert. Der völlig neue A8-Nachfolger (2025) ist in Ingolstadt auch unter dem Projektnamen Artemis oder dem Schlagwort "Landjet" bekannt: eine flache, mehr als fünf Meter lange Luxus-Lounge, die den Fahrer nur noch vorübergehend mit einem Lenkrad behelligt. Das Ganze funktioniert aber nicht nur flach und windschnittig, sondern auch hochkant: Stummelschnauze, steile Front und drei Sitzreihen mit aufrechter Haltung wie im VW Bulli.

Die Porsche-Vision "Renndienst" hat es 2018 vorgemacht: Kein kantiger Transporter, sondern ein modernes, familienfreundliches Raumkonzept für bis zu sechs Personen - mit Design auf Porsche-Niveau. Oliver Hoffmann: "In diesen Raumkonzepten adressieren wir noch stärker das Thema Digitalisierung und Erlebniswelt im Innenraum. Da haben wir noch mal andere und vor allem flexiblere Platzverhältnisse als in einem klassischen SUV."

Im kommenden Frühjahr will Audi auch so ein Fünf-Meter-Trumm präsentieren: die Studie Urban Sphere. "Wenn ich heute im europäischen Raum von urbaner Mobilität spreche, dann sind das eher kleinere Fahrzeugkonzepte", sagt Hoffmann, "in Wachstumsmärkten wie China sind aber auch Raumkonzepte für größere Familien extrem populär. Wir schauen uns gerade an, wie das für Audi aussehen kann." Der unsportliche Van erlebt mit dem automatisierten Fahren sein Revival - als rollendes Wohnzimmer zum Chillen, Räkeln und Kinogucken. VW ID Buzz und der kleinere Mini Urbanaut lassen grüßen. Die zentrale Frage dabei: Wo zum Kuckuck ist die Fernbedienung?

Variable Sitzpositionen sind der ultimative Stresstest für Anzeigen und Bedienungselemente: Im Grandsphere können die Frontpassagiere ihre Sessel zwar während des autonomen Fahrens in eine halb liegende Position bringen, die leergeräumte Armaturentafel fungiert dann als Bildschirm. Allerdings sind die Finger in dieser Haltung zu weit vom Touchscreen entfernt, die Bedienung erfolgt also über Sprach- und Gestensteuerung. Wie das mit (drehbaren) Sitzen in drei Reihen voller munter plappernder Kinder klappen soll, verrät Audi noch nicht. Das könnte tatsächlich ein iPhone-Moment im Auto werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5490565
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.