Süddeutsche Zeitung

Tiere:Paarung verschlafen

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Der Klimawandel verändert das Sexleben von Arktischen Erdhörnchen: Die Männchen schlafen zu lange - und verpassen damit womöglich ihre Chancen auf Fortpflanzung.

Von Tina Baier

Arktische Erdhörnchen sind perfekt an ein Leben in der Kälte angepasst. Sie halten acht Monate lang Winterschlaf und lassen dabei ihre Körpertemperatur auf minus drei Grad sinken. Andere Säugetiere würden das nicht überleben, weil bei dieser Temperatur eigentlich das Blut gefriert und tödliche Eiskristalle im Körper entstehen. Doch die knapp 50 Zentimeter großen Hörnchen bilden Proteine, die das verhindern. Sie atmen nur einmal pro Minute, und selbst in diesem fast eingefrorenen Zustand schaffen es die Tiere noch, genug Wärme zu produzieren, damit ihre Körpertemperatur nicht noch weiter absinkt. In ihrem eisigen Erdloch kann die Temperatur nämlich auf fast minus 20 Grad fallen. Zweimal im Monat wachen die Hörnchen kurz auf, um zu überprüfen, ob ihr Gehirn noch funktioniert. Danach frieren sie wieder ein, bis sie im Frühjahr den Winterschlaf beenden und aus ihren Erdhöhlen herauskommen, um sich zu paaren.

Eine Studie, die gerade im Wissenschaftsjournal Science erschienen ist, zeigt jetzt, dass der Klimawandel die ausgeklügelte Anpassung der Tiere an die extremen Lebensbedingungen in der Arktis, die jahrhundertelang gut funktioniert hat, durcheinanderbringt: mit erheblichen Auswirkungen auf die Tiere selbst und möglicherweise auch auf andere Arten.

Für ihre Untersuchung kombinierten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Helen Chmura von der University of Alaska Fairbanks Langzeitmessungen von Boden- und Luft-Temperaturen mit Informationen über die Körpertemperatur der Erdhörnchen während des Winterschlafs, die sie mithilfe sogenannter Biologger aufgezeichnet hatten. Alle Daten wurden über einen Zeitraum von 25 Jahren an den beiden Forschungsstationen Toolik und Atigun gesammelt.

Die Weibchen wollen sich paaren, aber die Männchen schlafen noch

Die Studie zeigt, dass der Permafrostboden im Herbst aufgrund des Klimawandels langsamer gefriert und im Frühjahr eher auftaut. "In Kombination führte das dazu, dass der Boden am Ende des Untersuchungszeitraums zehn Tage im Jahr weniger gefroren war als zu Beginn", schreibt die Gruppe in Science. Die minimale Bodentemperatur stieg alle zehn Jahre um fast zwei Grad Celsius an. Die im Gefrierschlaf überwinternden Erdhörnchen reagierten darauf, indem sie ihre innere Heizung immer später anwarfen: "pro Dekade ergab sich eine Verzögerung von ungefähr 15 Tagen", schreiben die Forschenden.

Auf den ersten Blick scheinen die wärmeren arktischen Winter keine Nachteile für die Erdhörnchen zu haben. Im Gegenteil: Sie verbrauchen weniger Energie und erhöhen dadurch vielleicht sogar die Wahrscheinlichkeit, aus ihrem halb gefrorenen Zustand im Frühjahr wieder unversehrt aufzuwachen.

Doch die Erwärmung hatte auch zur Folge, dass die Weibchen ihren Winterschlaf am Ende der Studie zehn Tage früher beendeten als zu Beginn. Die Männchen passten sich dagegen kurioserweise nicht an die veränderten Umweltbedingungen an: Sie schlummerten gemütlich weiter, wie sie es schon immer getan hatten.

Nach Ansicht der Studienautoren und Autorinnen kann dieser "mismatch" erhebliche Konsequenzen "für die Populationsdynamik der Arktischen Erdhörnchen und die Funktion des Nahrungsnetzes in der Arktis haben". Vereinfacht gesagt bekommen die Tiere wahrscheinlich weniger Nachwuchs, weil sich Männchen und Weibchen zu Beginn des Frühjahrs nicht mehr selbstverständlich treffen. Zuerst finden die paarungsbereiten Weibchen keine Männchen, weil diese noch tief und fest schlafen. Und wenn die Männchen dann endlich aufgewacht sind, kann es sein, dass die Weibchen keine Lust mehr haben: Sie sind nämlich nur für einen relativ kurzen Zeitraum paarungsbereit.

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