Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Schimpansen bilden Sätze

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Die Laute der Affen sind der Sprache des Menschen viel ähnlicher als bislang angenommen.

Von Tina Baier

Als Jane Goodall in den 1960er-Jahren ein paar Schimpansen dabei beobachtete, wie sie mit Stöcken in einem Termitenhaufen herumstocherten, erschütterte das das Bild des Menschen von sich selbst. Bis dahin hatten Anthropologen den Menschen als "Werkzeugmacher" definiert und in dieser Fähigkeit den entscheidenden Unterschied zum Tier gesehen.

Auch viele andere Fähigkeiten, die zunächst als typisch menschlich galten, wurden später bei unseren nächsten Verwandten nachgewiesen: Schimpansen haben Freunde und Feinde, sie verstehen die Intentionen anderer und helfen sich gegenseitig. Sie merken sich sogar, von wem sie unterstützt wurden, und revanchieren sich später dafür.

Was weiterhin einzigartig erschien, war die ausgeklügelte Sprache des Menschen - bis jetzt. Auch an dieser Gewissheit haben Wissenschaftler nun gerüttelt. In einer Studie, die gerade im Fachjournal Communications Biology erschienen ist, weist ein Team um Cédric Girard-Buttoz vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Emiliano Zaccarella vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften nach, dass die Sprache, in der sich Schimpansen im Urwald unterhalten, sehr viel komplexer ist, als gedacht. Vieles deutet sogar darauf hin, dass die Tiere so etwas wie Sätze bilden.

Für ihre Untersuchung analysierten die Forschenden 4826 Lautäußerungen von 46 wilden Schimpansen der Unterart Pan troglodytes verus, die sie im Nationalpark Tai im Südwesten der Elfenbeinküste aufgenommen hatten. Zunächst identifizierten sie zwölf verschiedene Lautäußerungen, darunter Grunzen, Hecheln, Aufschreien, Bellen, Kreischen und Wimmern. Was all diese Laute bedeuten, hängt den Wissenschaftlern zufolge davon ab, wie sie geäußert werden, aber auch davon, in welcher Situation sich die Tiere gerade befinden.

Grunzen in Kombination mit Hecheln drückt Unterwürfigkeit aus

Als nächstes untersuchten die Forschenden Kombinationen dieser Laute und stellten fest: "Die meisten Laute, die die Tiere einzeln von sich gaben, kamen auch in Sequenzen aus zwei Einheiten (Bigramme) vor, die wiederum in Sequenzen aus drei Einheiten (Trigramme) eingebettet wurden." Die Bedeutung eines Lautes verändert sich demnach, wenn er in Kombination mit anderen Lauten benutzt wird. "Einzelne Grunzer beispielsweise geben die Tiere vor allem beim Fressen von sich", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie. In Kombination mit Hechellauten drückten die Grunzer aber Unterwürfigkeit bei der Begrüßung aus. "Einzelne Aufschreie geben Schimpansen bei Bedrohungen von sich, aber Hechel-Aufschreie kommen auch bei der Kommunikation innerhalb eines Trupps vor."

Insgesamt identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 390 verschiedene Lautabfolgen, die vermutlich alle verschiedene Bedeutungen haben. Etwas überspitzt könnte man auch sagen, die Schimpansen bilden Sätze. Denn im Prinzip beruht auch die menschliche Sprache auf der Fähigkeit, ein begrenztes Repertoire an Lauten immer wieder neu zu kombinieren, sodass Wörter und Sätze entstehen.

Die Untersuchung ist ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, das Verhalten und die Fähigkeiten von Tieren nicht nur im Labor oder im Zoo zu erforschen, sondern auch in ihrem natürlichen Lebensraum. Gerade bei der Erforschung der Kommunikation von Primaten macht das einen gewaltigen Unterschied: Schimpansen in Gefangenschaft kommunizieren kaum über Laute, was manche Fachleute vermuten ließ, dass sich die nächsten Verwandten des Menschen vor allem mit Gesten verständigen und dass die Kommunikation über Laute nicht wichtig sei. Die aktuelle Studie beweist jetzt das Gegenteil. Vermutlich ist es im Zoo, wo sich die Tiere in der Regel sehen können, schlicht nicht nötig, einander zu rufen.

Dennoch sind 390 Kombinationen im Vergleich zur Vielfalt menschlicher Sprache wenig. Und auch wenn die Studienautorinnen und -autoren vermuten, dass sie nicht alle Varianten erfasst haben und dass es in Wahrheit viel mehr sind, ist klar: Die ausdifferenzierte Sprache des Homo sapiens ist außergewöhnlich und insofern tatsächlich typisch menschlich. Wie sie entstanden ist, gehört zu den großen noch ungelösten Rätseln der Evolutionsbiologie. Es gibt lediglich Vermutungen. Der Psychologe und Anthropologe Michael Tomasello etwa geht davon aus, dass sie eine Folge des unbändigen Bedürfnisses von Menschen sei, mit Artgenossen zu kooperieren und sich auszutauschen.

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