Süddeutsche Zeitung

Hurrikan-Saison:Es braut sich etwas zusammen

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Noch nie gab es so viele Tropenstürme im Atlantik wie in diesem Jahr. Das liegt vor allem am Wetterphänomen La Niña. Aber auch der Klimawandel spielt eine Rolle.

Von Julian Rodemann

Dass die Hurrikan-Saison in diesem Jahr außergewöhnlich stark werden würde, zeichnete sich früh ab. Doch dass 2020 so viele Tropenstürme über den Atlantik fegen würden wie noch nie seit Beginn der Messungen, das hatte niemand vorausgesehen. Auch nicht der renommierte Klimaforscher Michael Mann von der Pennsylvania State University: "Wir haben 24 Stürme vorausgesagt, mehr als alle anderen Prognosen vor Beginn der Saison", sagt Mann, "und trotzdem nicht genug." Die US-Wetterbehörde NOAA hatte im Mai prognostiziert, dass sich 19 benannte Stürme formieren würden. Vier Monate später änderten die NOAA-Meteorologen ihre Prognose auf bis zu 25 Stürme.

Doch auch diese Schätzung wurde übertroffen. Anfang dieser Woche begann sich zwischen den Azoren und den Kanaren der 29. Sturm zu bilden, damit übertrifft 2020 das bisherige Rekordjahr 2005, als 28 benannte Stürme über den Atlantik fegten. Zum Vergleich: Im Schnitt gab es im Atlantik in den vergangenen Jahrzehnten zwölf Tropenstürme pro Jahr.

Die Hurrikan-Saison dauert eigentlich von Anfang Juni bis Ende November. In diesem Jahr begann sie bereits Mitte Mai mit Sturm Arthur. Um einen Namen zu bekommen, müssen tropische Atlantik-Stürme schneller als 62 Kilometer pro Stunde werden. Gewinnen sie weiter an Fahrt und erreichen Windgeschwindigkeiten von mehr als 119 Kilometern pro Stunde, also Windstärke 12, so sprechen Meteorologen von Hurrikans.

Der 29. Sturm, der sich mittlerweile mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 90 Kilometern pro Stunde westlich der Kanaren mit Kurs auf die Karibik befindet, hat indes gar keinen richtigen Namen mehr, sondern nur noch einen Buchstaben. Die Welt-Meteorologie-Organisation (WMO) in Genf tauft die Stürme für gewöhnlich in alphabetischer Reihenfolge; so folgte im Frühjahr auf Arthur wenig später Bertha und Cristobal. Mit mehr Stürmen als Buchstaben in ihrem Wetter-Alphabet konfrontiert, sah sich die WMO jedoch gezwungen, auf griechische Buchstaben umzuschwenken: Auf Wilfred folgten Alpha und Beta , der 29. Sturm heißt nun Theta.

Der Rekord im Jahr 2020 kommt nicht überraschend. "Es gibt einen eindeutigen Anstieg aller Maßzahlen für Tropenstürme im Atlantik seit den 1980er-Jahren", sagt der Meteorologe Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Das heißt, dass die Stürme nicht nur zahlreicher, sondern auch heftiger wurden. So klar dieser Trend ist, so unklar ist das genaue Zusammenspiel der Ursachen. Fest steht, dass das pazifische Wetterphänomen La Niña, das sich seit einigen Monaten anbahnt, eine wichtige Rolle spielt. Als Gegenstück zu El Niño (der Junge) steht La Niña (das Mädchen) für stärkere und kühlere atmosphärische Zirkulation vor der Küste Südamerikas, was über globale Meeresströmungen und Winde die Wetterlage im Atlantik beeinflusst. La Niña sorgt unter anderem dafür, dass die atlantischen Höhenwinde schwächer wehen und so nicht verhindern, dass sich gefährliche Wolkenformationen bilden, aus denen dann ein Tropensturm entstehen kann. La Niña wird in diesem Jahr wohl besonders stark ausfallen, warnte vor Kurzem die WMO.

Auch eine starke westafrikanische Monsunsaison begünstigt 2020 die Entstehung von Stürmen. Dazu kommen die außergewöhnlich hohen Wassertemperaturen im tropischen Atlantik und der Karibik. "Die menschengemachte Erderwärmung ist dafür zumindest teilweise verantwortlich", sagt der Klimatologe Mann. Das Jahr 2020 ist im globalen Mittel eines der heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen. "Ein Ereignis wie La Niña in diesem Jahr verstärkt den Einfluss des Klimawandels dann zusätzlich", sagt Mann. Auch sein Fachkollege Hiroyuki Murakami von der NOAA sieht eine Kombination des langfristigen Klimawandels und des kurzfristigen Phänomens La Niña am Werk.

Allgemein gehen Wissenschaftler davon aus, dass der Klimawandel nicht zwingend die Anzahl der Stürme erhöht, dafür aber deren Intensität. In dieser Hinsicht hat 2020 das bisherige Rekordjahr 2005 glücklicherweise noch nicht übertroffen, damals zählten Meteorologen vier Hurrikans der höchsten Kategorie 5 mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 250 Kilometern pro Stunde, darunter Hurrikan Katrina, der mehr als 1800 Menschen an der US-amerikanischen Golfküste das Leben kostete. In diesem Jahr gab es noch keinen Hurrikan dieser Stufe. Mit Kategorie 4 zählten Laura und Delta bisher zu den heftigsten Hurrikans, sie richteten erhebliche Schäden in Louisiana an.

Weil erwärmtes Meerwasser eher verdunstet und mit der warmen Luft aufsteigt, "tanken" Wirbelstürme aufgrund der Erderwärmung mehr Feuchtigkeit über dem Meer. Das erhöht ihre Intensität und sorgt dafür, dass sie an Land langsamer abbremsen als früher. Während sie in den 1960er-Jahren noch etwa drei Viertel ihrer Intensität am ersten Tag nach dem Auftreffen auf die Küste verloren, ist es heute nur noch die Hälfte, berichten Wissenschaftler in einer Studie im Fachblatt Nature, die gerade erst erschienen ist.

Die erwärmte Wasseroberfläche im Atlantik ist jedoch nicht nur auf den globalen Klimawandel, sondern auch auf einen sehr spezifischen Grund zurückzuführen, wie Murakami von der NOAA und Emanuel vom MIT betonen: Seit den 1980er-Jahren stoßen Kohlekraftwerke und Industrieanlagen in Europa und Nordamerika dank moderner Filteranlagen weniger Sulfataerosole aus. Dieser schwefelhaltige Staub sammelt sich in der Atmosphäre über dem Atlantik und schwächt dort das einfallende Sonnenlicht ab. Weniger Aerosole bedeuten folglich mehr Sonnenstrahlen, die auf die Wasseroberfläche gelangen und diese erwärmen.

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