Süddeutsche Zeitung

Mobilität:Lieber auf zwei Rädern

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E-Mobilität gilt als Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel. Schneller und effektiver wäre es aber, zumindest in den Städten vor allem auf das Fahrrad zu setzen.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Sobald sich unangenehme Aufgaben, Herausforderungen oder andere Widrigkeiten ankündigen, braucht es zur Einstimmung eine Vorausbelohnung. Ein großes Arbeitsprojekt steht an? Da wäre es doch fein, sich erst mal einen neuen Rechner zu kaufen und vielleicht noch ein tolles Tablet. Ist zwar beides nicht zwingend nötig, aber trotzdem schön und gibt einem das (trügerische) Gefühl, schon einmal etwas in die richtige Richtung gemacht zu haben.

Ähnlich könnte es sich im individuellen Umgang mit dem Klimawandel verhalten: Da rüttelt die größte aller Menschheitsherausforderungen an den Pforten und versetzt einen in Aufruhr. Man müsste wirklich etwas machen, CO2 sparen, sich ökologisch bewusst verhalten und so weiter. Also, was tun? Erst mal einen Tesla oder ein anderes Elektroauto kaufen, so es denn die finanziellen Möglichkeiten zulassen, und schwups ist das Gewissen gesalbt, jetzt wird alles gut.

Die Zahlen sind gewiss angreifbar, doch die Botschaft hat Bestand

Aber braucht es das denn wirklich oder dient die Sorge um das Klima mehr als Begründung für den Erwerb eines Statussymbols? Gerade haben Mobilitätsforscher um Christian Brand von der Universität Oxford vorgerechnet, dass dem Klima besser geholfen wäre, wenn in den Städten mehr Menschen mit dem Fahrrad führen, statt die kollektive Kfz-Elektrifizierung abzuwarten. Die Wissenschaftler betonen zunächst, wie wichtig die Reduktion der Emissionen durch den motorisierten Individualverkehr sind.

Dabei könnten Elektroautos natürlich einen Beitrag leisten, aber leider nicht schnell genug. Die gigantische Flotte an Privatfahrzeugen von Verbrennern auf Elektro umzustellen, nehme mindestens noch 15 bis 20 Jahre in Anspruch. Zeit, so die Forscher, welche die Menschheit nicht mehr hat. Zudem müssen E-Autos auch erst hergestellt werden. Ein Prozess, der nun auch nicht nur klimafreundlichen Veilchenduft in die Atmosphäre entlässt.

Was hilft? Das gute, alte Fahrrad. In Städten lässt sich damit so gut wie jede Strecke in vertretbarer Zeit zurücklegen, oft sogar schneller als mit dem ÖPNV oder dem Kfz. Klar, nicht jeder kann das wirklich machen. Manche Körper lassen es nicht zu. Aber fast jeder kann auf das Rad umsteigen und damit seinen CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren. Die Forscher um Brand rechnen vor, dass die täglichen Radler in großen europäischen Städten einen um 84 Prozent geringeren CO2-Fußabdruck hinterlassen als die täglichen Individualmotoristen.

Die Zahlen sind gewiss angreifbar, doch die Botschaft hat Bestand: Statt darauf zu warten, eines Tages ein E-Auto zu kaufen und derweil weiter mit der alten Kiste zu fahren, sollten die Städter dieser Welt auf das Rad umsatteln. Großartiger Nebeneffekt: Radeln macht sogar Spaß, meistens zumindest, tut dem Körper gut und belüftet die Seele. Und wer erst nach Erwerb einer Vorausbelohnung in die Strümpfe kommt, dem sei gesagt: Auch Fahrräder sind sehr schöne (und oft zu teure) Sehnsuchtsobjekte.

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