Süddeutsche Zeitung

Stockholm:Wirtschaftsnobelpreis für Harvard-Professorin Claudia Goldin

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Die US-Amerikanerin wird für ihre Forschung zur Rolle von Frauen auf dem Arbeitsmarkt geehrt. In der Fachwelt gibt es viel Zustimmung für ihre Auszeichnung.

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geht in diesem Jahr an Claudia Goldin von der Harvard University für ihre Forschung zur Rolle von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Die 77-Jährige werde für die "Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt" ausgezeichnet, teilte die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit.

Goldin ist die dritte Frau, die mit dem Preis geehrt wird, und die erste, die die Auszeichnung allein erhält. Dass die Wahlmöglichkeiten von Frauen auf dem Arbeitsmarkt oft durch Ehe und Verantwortung für Haus und Familie eingeschränkt wurden und werden, stehe im Mittelpunkt der Analysen und Erklärungsmodelle Goldins, erklärte die Akademie. "Frauen sind auf dem globalen Arbeitsmarkt erheblich unterrepräsentiert und verdienen, wenn sie arbeiten, weniger als Männer."

In der Fachwelt gab es viel Zuspruch für die Auszeichnung von Goldin. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnete die Wahl als "Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland für mehr Chancengleichheit". In kaum einem vergleichbaren Land sei die Lohnlücke zwischen Mann und Frau mit im Schnitt 18 Prozent so groß wie in Deutschland, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

"Claudia Goldin hat mit ihren Arbeiten unser Verständnis zu mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz wesentlich erweitert", sagte Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW. Experte Sascha Steffen von der Frankfurt School of Finance & Management kommentierte: "Besonders bemerkenswert sind ihre Erkenntnisse über das anhaltende Lohngefälle zwischen den Geschlechtern. Goldins Beiträge bilden eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen und künftige Forschungen."

Dotiert sind die Nobelpreise in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen pro Preiskategorie, also etwa 950 000 Euro. Im vergangenen Jahr waren der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke und die ebenfalls amerikanischen Ökonomen Douglas Diamond und Philip Dybvig ausgezeichnet worden. Sie erhielten die prestigeträchtigen Nobelmedaillen für ihre Erforschung von Banken und Finanzkrisen.

Generell geht der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften oft an Preisträger, die aus den USA stammen oder dort zumindest tätig sind. Einziger Wirtschaftsnobelpreisträger aus Deutschland ist bislang der Bonner Wissenschaftler Reinhard Selten gewesen, der die Auszeichnung 1994 gemeinsam mit John Nash und John Harsanyi für ihre wegweisenden Beiträge zur nichtkooperativen Spieltheorie erhielt.

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist der einzige, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht. Er wird seit Ende der 1960er-Jahre von der schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit streng genommen nicht zu den klassischen Nobelpreisen. Trotzdem wird er gemeinsam mit den weiteren Nobelpreisen an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, feierlich überreicht.

Die Bekanntgabe des Wirtschaftsnobelpreises ist die letzte in diesem Jahr. Die Preisträger in den anderen Kategorien wurden bereits in der vergangenen Woche gekürt. Eine Übersicht:

Medizin: Katalin Karikó und Drew Weissman haben mit ihrer Forschung die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 möglich gemacht. Es begann mit einer Begegnung am Kopierer.

Physik: Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L'Huillier erhalten den Nobelpreis für ihre Experimente mit Lichtpulsen, die rasante Prozesse in Atomen messbar machen. Auch ein Münchner Wissenschaftler wird geehrt. Warum ihre Ergebnisse revolutionär sind.

Chemie: Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov teilen sich den Nobelpreis für die Entwicklung von "Quantenpunkten", die heute in vielen Alltagsgeräten enthalten sind. Vor der Bekanntgabe hatte es eine Panne gegeben.

Literatur: Mystiker, Dramatiker sogar in der Prosa, literarischer Lehrer: Der Norweger Jon Fosse ist in vielen Dimensionen unterwegs - und begegnet sich in seinen Romanen selbst.

Frieden: Die iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi kämpft seit Jahrzehnten für ein freies Land, auch während der Proteste im vergangenen Jahr. Wer ist die Frau, die gerade wieder in Haft sitzt - wie schon mehr als ihr halbes Leben lang?

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