Süddeutsche Zeitung

Wirecard:Die Unschuld aus Aschheim

Lesezeit: 4 min

Seit Jahren sieht sich der Dax-Konzern von Feinden und bösartigen Spekulanten verfolgt. Seit Freitag ist nun aber klar: Wirecard und seine Topmanager stehen inzwischen selbst im Fokus der Ermittler.

Von Klaus Ott, Jörg Schmitt, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, München

Die Ermittler kamen Freitagvormittag in die Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München und sie blieben stundenlang. Als sie schließlich wieder gingen, nahmen sie auch die Handys von Konzernchef Markus Braun und seinen drei Vorstandskollegen mit. Denn unter Verdacht stehen diesmal nicht irgendwelche Spekulanten, sondern die Führungsriege des Dax-Konzerns. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation gegen sie.

Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst am späten Nachmittag. Erst als der Aktienhandel an der Frankfurter Börse weitgehend abgeschlossen war, äußerte sich die Staatsanwaltschaft München I zu der Sache. Die Strafverfolger wollten den Kurs von Wirecard wohl nicht selbst beeinflussen. Doch auch so verlor die Aktie am Freitag im Späthandel noch fast sieben Prozent.

Das Vorgehen passt zum Stil der Münchner Wirtschaftsermittler: höflich und rücksichtsvoll, aber hart in der Sache. Seit eineinhalb Jahren beschäftigen sie sich mit Wirecard. Das Unternehmen wickelt für Kunden auf der ganzen Welt bargeldlose Zahlungen im Internet ab und macht damit, ausweislich seiner Bilanzen, Milliardenumsätze und hohe Gewinne. Seit Langem sieht sich der Konzern um Vorstandschef Braun aber von Feinden und Neidern verfolgt. Bislang ermittelte die Staatsanwaltschaft, ob nicht gerissene Börsen-Spekulanten im Verbund mit anderen Helfern den Kurs der Wirecard-Aktie kriminell nach unten drückten.

Jetzt aber geht es gegen die Manager aus Aschheim selbst. Die Durchsuchung beruht auf einer Strafanzeige der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Konzernchef Braun und seine Vorstandskollegen sollen mit zwei Meldungen vom 12. März und 22. April falsche Erwartungen bei den Aktionären erweckt haben. Sie sollen den Eindruck vermittelt haben, eine laufende Sonderuntersuchung der Wirtschaftsprüfer von KPMG werde öffentlich kursierende Vorwürfe über diverse Unregelmäßigkeiten widerlegen. Als der Bericht dann Ende April vorlag, las sich der aber völlig anders: KPMG listete zahlreiche Kritikpunkte und Mängel auf, woraufhin der Aktienkurs von Wirecard stark nachgab.

Es heißt, der Konzern habe Geschäfte künstlich aufgebläht

Klarheit bringen sollen nun die Nachrichten auf den beschlagnahmten Handys und alles andere, was Braun und seine Kollegen vorab über den KPMG-Bericht beredeten. Wusste der Vorstand, wie unangenehm der Prüfreport ausfallen würde? Sollten die Aktionäre getäuscht werden? Oder konnte die Konzernspitze davon ausgehen, dass die beiden Mitteilungen korrekt sind?

Der Konzern erklärte dazu, man kooperiere "vollumfänglich" mit den Behörden. Der Vorstand sei zuversichtlich, dass "der Sachverhalt sich aufklären wird und die Vorwürfe sich als unbegründet erweisen werden".

Der KPMG-Bericht brachte Wirecard jedenfalls nicht die erhoffte Entlastung. Die britische Zeitung Financial Times und andere Kritiker behaupten, der Konzern habe Geschäfte künstlich aufgebläht, um die Bilanz besser aussehen zu lassen. Wirecard weist das seit jeher zurück. Der KPMG-Bericht wirft aber neue Fragen auf. Darin heißt es etwa, der Konzern habe für die Untersuchung benötigte Dokumente teils gar nicht, teils erst nach mehreren Monaten geliefert. Auch habe der Konzern einzelne Termine für die Befragung von Beschäftigten mehrmals verschoben. Dadurch seien "ebenfalls erhebliche Verzögerungen der Untersuchungshandlungen entstanden."

Dabei können sie bei Wirecard durchaus fix sein. Vor allem, wenn es gegen die Kritiker geht. Als die FT beispielsweise Ende Januar 2019 über angebliche Manipulationen bei Wirecard in Asien berichtete und der Aktienkurs daraufhin abstürzte, folgte prompt eine Strafanzeige gegen Unbekannt. Kriminelle Spekulanten, so der Vorwurf, hätten sich gegen Aschheim verschworen. Die Staatsanwaltschaft München I leitete ein Verfahren ein, und bereits am 21. Februar 2019 ließ sich Vorstand Jan Marsalek als Zeuge vernehmen, ein zweiter Termin folgte am 23. April.

Marsalek ist einer der treuesten Wirecard-Mitarbeiter. Sein halbes Leben arbeitet er schon im Unternehmen und hat eine steile Karriere hingelegt: Mit 20 fängt er an, schon mit knapp 30 rückt er in den Vorstand auf, inzwischen ist er 40 Jahre alt. In Aschheim kümmert er sich um den Vertrieb, das operative Geschäft - und seit einigen Jahren nebenbei um "Feindaufklärung". So hat er es der Staatsanwaltschaft erzählt. Dort beklagte sich Marsalek auch über verzerrte Darstellungen in der FT, die auf gestohlenen Unterlagen beruhten. Auch werde er in der FT mit seinem Anzug, seinem Haarschnitt und seiner goldenen Kreditkarte in einer Art charakterisiert, die nichts mit der Sache zu tun habe. Das sei nur der Versuch, einen Vorstand in Misskredit zu bringen, um dem Aktienkurs zu schaden.

Die Höhe des Reputationsschadens ist noch nicht abzusehen

Im April 2019 erstattete die Bafin bei der Münchner Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Börsenmanipulation gegen zwei FT-Journalisten und fünf Aktienhändler, vor allem aus London. Das bestärkte die Wirecard-Spitze in der Ansicht, Opfer einer Verschwörung zu sein. Die Vorwürfe gegen die Händler sind fundiert; die Anschuldigungen gegen die FT-Leute sind aber ausgesprochen dünn. Das Verfahren läuft, genauso wie eine Schadenersatzklage von Wirecard gegen die FT. Herausgekommen ist dabei bislang aber nichts.

Und nun geht es also plötzlich andersherum - gegen Braun, Marsalek und ihre Vorstandskollegen. Dabei ist Wirecard ohnehin unter Druck. Vor einem Monat hat die Deka, die Fondsgesellschaft der Sparkassen, Brauns Rücktritt gefordert. Die Zeit dränge, so die Deka, die zu den wichtigsten Investoren bei Wirecard zählt. Es gelte zu verhindern, dass der Vertrauensverlust am Kapitalmarkt das Geschäftsmodell beschädige. Jetzt, nach der Durchsuchung, legt die Deka nach: Vorstandschef Braun komme durch die Strafanzeige noch stärker unter Druck, sagte Ingo Speich, Leiter des Bereichs Corporate Governance bei der Deka. "Wirecard hat sich in eine Situation manövriert, in der der Konzern nur noch aus der Defensive heraus agieren kann." Es sei zu befürchten, dass das Geschäft "zunehmend leidet unter dem Reputationsschaden. Der Konzern braucht einen Neuanfang." Die Fondsgesellschaft warnt vor jahrelangen Rechtsstreitigkeiten.

Und Wirecard droht noch mehr Ärger. Klaus Nieding, Vizepräsident der Aktionsvereinigung DSW und Wirtschaftsanwalt, will bei der nächsten Hauptversammlung im August eine unabhängige Sonderprüfung des Konzerns durchsetzen. Mit seiner Kanzlei sei er von 31 Wirecard-Investoren aus den USA, dem Nahen Osten und Asien bereits beauftragt worden, Schadenersatzansprüche wegen möglicherweise "fehlerhafter Informationen" der Aktionäre durch Wirecard zu prüfen. Es sind ungemütliche Zeiten in Aschheim.

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SZ vom 08.06.2020
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