Süddeutsche Zeitung

Milliardenskandal:EU-Kommission lässt Rolle der Bafin im Fall Wirecard überprüfen

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Vor allem interessiert sich Brüssel dafür, ob die Finanzaufsicht die Anleger vernünftig geschützt hat.

Von Cerstin Gammelin und Nils Wischmeyer

Der Milliardenskandal rund um Wirecard wird nun auch für die deutschen Finanzaufseher zum Debakel. Das zeigt ein Brief an die Europäische Finanzaufsicht (ESMA), der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Darin fordert John Berrigan, Generaldirektor für Finanzstabilität in der EU-Kommission, die ESMA auf, die Ereignisse und die "aufsichtsrechtliche Reaktion" zu untersuchen, die zum Zusammenbruch der Wirecard AG geführt haben.

Unter anderem soll die ESMA prüfen, ob die Bafin auf einen KPMG-Prüfbericht angemessen reagiert und Anleger vernünftig geschützt hat. Für Berrigan ist die Untersuchung von "wesentlicher Bedeutung", um festzustellen, ob die Anleger "umfassend geschützt" wurden.

Bereits zuvor hatte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission, in der britischen Financial Times angekündigt, dass man untersuchen müsse, ob es "aufsichtsrechtliche Versäumnisse gegeben hat". Er sagte: "Wir müssen klären, was schief gelaufen ist." Ein Insider sagte der SZ, der Brief sei vor allem als politisches Signal gedacht, um "die deutschen Verantwortlichen aus ihrer Selbstgefälligkeit zu reißen". Das gelte auch für die politische Ebene. Bisher räumen weder Bundesfinanzminister Olaf Scholz noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier größere Fehler ein.

Mit dem Brief nun wächst der Druck auf die deutsche Finanzaufsicht Bafin gewaltig. Sie kontrolliert zwar nicht den Konzern direkt, wohl aber die Wirecard Bank, die zum Konzern gehört. Sie hätte als Aufsicht die Mittel gehabt, die Eigentümer der Bank - also die Wirecard AG - genau unter die Lupe zu nehmen. Das hat sie offenbar über Jahre hinweg versäumt und das könnte ihr jetzt auf die Füße fallen.

Sollte die ESMA in ihrer Prüfung Fehler finden, könnte sie eine eine formelle Untersuchung einleiten. Wird dabei ein Verstoß festgestellt, könnte Brüssel die Bafin maßregeln und ihr vorschreiben, ihre Praktiken künftig zu ändern. Das wäre für die Bafin als nationale Aufsichtsbehörde äußerst peinlich.

Für Wirecard wird es zudem immer schlimmer. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge prüfen Visa und Mastercard, ob sie dem Skandalkonzern ihre Lizenzen entziehen. Das würde es dem insolventen Dax-Konzern erschweren, seinen Geschäftsbetrieb in großem Umfang aufrecht zu erhalten. Zahlungsdienstleister wie Wirecard wickeln Überweisungen im Hintergrund ab und brauchen dafür die weit verzweigten Netzwerke der Kartenananbieter wie Visa und Mastercard. Wirecard äußerte sich dazu nicht.

Am Donnerstag hatte Wirecard wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anmelden müssen. Betroffen sein könnten auch Tochtergesellschaften des Konzerns, ausgenommen die hauseigene Bank.

Wirecard Bank ist nach Angaben von Wirecard nicht Teil des Insolvenzverfahrens

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat einen Sonderbeauftragten für die Wirecard Bank eingesetzt. Bei ihr werden die Visa- und Mastercard-Lizenzen gehalten, sie sei nicht Teil des Insolvenzverfahrens, hatte Wirecard mitgeteilt. Die Freigabeprozesse für alle Zahlungen der Bank werden zukünftig ausschließlich innerhalb der Bank und nicht mehr auf Gruppenebene liegen.

Hintergrund der Insolvenz ist ein milliardenschwerer Bilanzskandal, bei dem Wirecard bereits Anfang der Woche mitteilen musste, dass offiziell angegebene 1,9 Milliarden Euro wahrscheinlich gar nicht vorhanden sind.

Diese Mittel waren womöglich frei erfunden; Unterlagen sollen gefälscht gewesen sein. Mittlerweile gibt es Hinweise darauf, dass ein großer Teil des umfangreichen Asiengeschäfts sich als Luftnummer erweisen könnte. Theoretisch könnte Wirecard auch nach einer Insolvenz und dringend nötigen Restrukturierung weiter überleben. Das Unternehmen betreibt Geschäfte in Europa und den USA, die von dem Skandal offenbar nicht betroffen sind.

Doch ohne Lizenzen von Visa und Mastercard dürfte es für einen Zahlungsdienstleister immer schwerer werden, die erforderlichen Dienstleistungen anzubieten. Zum einen kann die hauseigene Bank dann keine Kreditkarten mehr herausgeben. Zum anderen könnten die Händler, die über Wirecard laufen, kurzfristig keine Kreditkarten von Visa oder Mastercard mehr akzeptieren.

Für einige, erfolgreiche Teile von Wirecard käme dann womöglich noch ein Verkauf in Frage, beispielsweise an einen Konkurrenten oder eine Private-Equity-Firma. Auch die deutschen Banken könnten sich für einige Geschäftsbereiche von Wirecard interessieren. 5800 Mitarbeiter beschäftigte der Konzern zuletzt weltweit. Einige von ihnen haben sich bereits bei Konkurrenten oder abseits des Zahlungsverkehrs beworben, andere warten.

Trotz des Skandals wird Wirecard wohl weiterhin im Dax gelistet. Die Deutsche Börse hat keine Mechanismen, um die Firma vorzeitig aus der ersten Börsenliga zu verbannen. Stattdessen wird die Börse voraussichtlich bis zur nächsten Überprüfung der Dax-Zusammensetzung warten, um Wirecard aus dem Dax hinauszuwerfen und einen Nachrücker zu benennen. Das geschähe dann erst im September. Somit bleibt die Aktie weiterhin in vielen Fonds und ETFs gelistet. Anders ist es beim Stoxx Europe 600, der Wirecard ab dem 30. Juni nicht mehr im Index listen wird. Grund ist hier die Insolvenz.

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