Süddeutsche Zeitung

Weltwirtschaft:Unter die Reeder gekommen

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Das Geschäft mit der Containerschifffahrt läuft so schlecht wie lange nicht - ein übles Vorzeichen für die Weltwirtschaft.

Von Alexander Hagelüken, Arne Perras, Jürgen Schmieder und Angelika Slavik

Wer auf den Hafen von Long Beach in Kalifornien zufährt, der könnte es fast mit der Angst zu tun bekommen. Die gewaltigen Kräne sehen aus wie die Kampfläufer AT-AT aus den "Star-Wars"-Filmen - der Legende zufolge hat sich Erfinder George Lucas von eben diesen Hebemaschinen inspirieren lassen. Die Queen Mary und das stillgelegte russische U-Boot Podvodnaya Lodka B-427 Scorpion warten im Wasser auf Besucher, weiter hinten betreten Urlauber gerade ein Kreuzfahrtschiff. Krise? Von wegen. Erst im vergangenen Oktober hat es hier einen neuen Rekordmonat gegeben, weil pünktlich zum Kinostart des neuesten "Star-Wars"-Films Spielzeug im Wert von etwa einer Milliarde Dollar aus China an die Westküste der Vereinigten Staaten verschifft wurde. Auch jetzt im Februar sind die Kräne unentwegt im Einsatz. Bei den Kollegen in Los Angeles ein paar Kilometer nördlich war es gar der beste Januar in der 109-jährigen Geschichte des Hafens. "The Force Awakens", das Erwachen der Macht, heißt der glücksbringende Film. Leider hat die Macht aber irgendwie den Rest der Welt vergessen.

Denn jenseits von Kalifornien liegt das Geschäft mit der Containerschifffahrt darnieder. Das merken die Häfen, wie etwa jener in Hamburg: Dort wurden zuletzt knapp zehn Prozent weniger Container umgeschlagen als im Jahr zuvor. Das spüren aber vor allem die Reedereien. Die Frachtraten, also die durchschnittlichen Preise für einen transportierten Standardcontainer, sind schon seit Jahren sehr niedrig, nun sind sie noch einmal dramatisch gefallen. "Es ist schlimmer als 2008", sagte Nils Andersen in dieser Woche, er ist der Chef der weltweit größten Containerreederei Maersk. Sein Unternehmen wird bis Ende des kommenden Jahres 4000 Stellen streichen. Beim Hamburger Konkurrenten Hapag-Lloyd klingt das nicht besser: Man müsse überlegen, ob man "Kapazität aus dem Markt nimmt", sagte der Firmenchef Rolf Habben Jansen kürzlich. Soll heißen: Die Flotte könnte verkleinert und Fahrten gestrichen werden. Im Grunde genommen ist ein Schiff, das ungenutzt im Hafen liegt, ein betriebswirtschaflicher Albtraum. Aber Habben Jansen sagt: "Wir wollen keine Fahrten, mit denen wir nur noch Verlust machen."

Wie dramatisch die Entwicklung ist, zeigt sich auch an den Zahlen für lose Güter: Der Baltic Dry Index, der Frachtraten für Rohstoffe erfasst, rutschte unter das Niveau von 2008, als die Dimensionen der Weltwirtschaftskrise erstmals deutlich wurden ( Grafik). Der Index gilt als Frühindikator für die weltweite Konjunkturentwicklung. Also keine guten Aussichten.

Es entsteht ein Domino-Effekt: Wer weniger einnimmt, kauft nicht so viel bei den anderen

Seit die Globalisierung in den Neunzigerjahren richtig einsetzte, entwickelten sich die Exporte immer in eine Richtung: Nach oben. Und zwar schnell. Über die Weltmeere wurden immer mehr Autos, Maschinen, Lippenstifte und Lebensmittel transportiert. Der Handel zwischen den Nationen nahm im Schnitt um etwa sechs Prozent zu. Seit 2012 aber ist dieser Trend gebrochen. Die Zuwachsrate hat sich halbiert - und die Aussichten sind eher mau.

Ökonomen sehen mehrere Gründe. So entwickelt sich Chinas Volkswirtschaft, stärkster Antreiber der Globalisierung, nicht mehr so schnell. Lange Zeit legte die Wirtschaft dort alle zwölf Monate zweistellig zu. In diesem und im nächsten Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) nur sechs Prozent Plus. Das wären die geringsten Werte seit einem Vierteljahrhundert. China kauft deshalb weniger Öl, Eisenerz und andere Rohstoffe, die Schwellenländern wie Brasilien und Russland einen großen Boom beschert hatten. Beide Staaten stürzten in eine Rezession, weil sie zu wenige Alternativen zum Rohstoffgeschäft aufgebaut haben. Der Verfall des Ölpreises trifft nun aber auch Förderländer wie etwa Saudi-Arabien. Es entsteht ein Dominoeffekt: Wenn ein Land weniger einnimmt, kauft es weniger Waren in anderen Staaten.

Dazu kommt, dass kein anderes Schwellenland die Rolle Chinas als Antreiber übernimmt. Indien etwa, schon als das neue China ausgerufen, fällt hinter den Erwartungen zurück. Für Mexiko oder Südafrika sagt der IWF ein geringeres Wachstum voraus als noch im Herbst angenommen. Die Abschwächung betrifft viele Schwellenländer auf einmal - ihre mittlere Wachstumsrate lag in den vergangenen Jahren nur noch halb so hoch wie vor der Finanzkrise 2008. Das aber trifft die Weltwirtschaft ins Mark. Die Schwellenländer waren in den vergangenen Jahren für 80 Prozent des globalen Wachstums verantwortlich. Sollte außerdem das Beben an den Finanzmärkten weitergehen, könnte es die Weltwirtschaft hinabreißen - und es werden noch weniger Container benötigt.

Wer nach Singapur fliegt, sieht aus dem Flugzeug auf die Straße von Malakka, einer der wichtigsten Schiffspassagen der Welt. Vor dem Hafen liegen Dutzende Schiffe kreuz und quer im Ozean, alles sieht aus wie immer. Was fürs bloße Auge auf dem stark gesicherten Hafen nicht erkennbar ist, steht in der nüchternen Erklärung des Hafenbetreibers PSA International vom 14. Januar: Die Terminals im Stadtstaat Singapur, dem zweitgrößten Containerhafen der Welt, schlugen im Jahr 2015 30,62 Millionen Standardcontainer um, das waren 8,7 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Hafenchef Tan Chong Meng sagt, der Handel in der zweiten Jahreshälfte sei "besonders glanzlos" gewesen. Als Gründe nennt er unter anderem die nachhaltige Überkapazität an Containerschiffen. "Diese Probleme sind hausgemacht", heißt es in der Branche. "Es wurden zu viele Schiffe gebaut, und viele davon sind jetzt irgendwo geparkt. Das macht man gewöhnlich dort, wo sie nicht so ins Auge stechen, also nicht vor dem Hafen von Singapur."

Ist das vielleicht ein Hoffnungsschimmer für die Weltwirtschaft? Läuft es bei den Häfen und den Reedereien nur deshalb so schlecht, weil die Unternehmen, getrieben von der nackten Gier, zu viele und zu große Schiffe bestellt haben? Immerhin kämpfen die Reedereien schon seit Jahren mit unwirtschaftlich niedrigen Frachtraten. Auch in wirtschaftlich stabileren Zeiten konnten viele Unternehmen nie nachhaltig gewinnbringend arbeiten. Darauf reagierte die Branche damit, immer größere Schiffe zu ordern. Fast im Monatsrhythmus wurde der Titel für das "weltweit größte Containerschiff" neu vergeben. Die Olympic-Serie von MSC etwa kann bis zu 19 200 Standardcontainer aufnehmen - dabei heißen schon Schiffe mit einer Kapazität von 8000 Containern "Mega-Carrier". Die Idee war, dass größere Schiffe die Kosten pro transportierter Einheit drücken würden. Doch diese Strategie, das deutet sich langsam an, könnte scheitern: Denn die Riesenschiffe mögen zwar die Stückkosten reduzieren, allerdings steigern sie natürlich auch die Transportkapazitäten am Markt. Nur wenige Schiffe fahren voll beladen, die Überkapazität drückt die Frachtraten weiter.

Und tatsächlich gibt es, was die weltweite Konjunktur betrifft, nicht nur doom and gloom, nicht nur düstere Nachrichten. Am Freitag meldete das Statistische Bundesamt, die deutsche Wirtschaft sei auch im vierten Quartal 2015 ordentlich gewachsen. Um 0,3 Prozent - im Durchschnitt der Eurozone. In Deutschland addiert sich das zu einem Jahreswert von insgesamt 1,7 Prozent. Und für 2016 sind die Prognosen ähnlich. Auch in den Vereinigten Staaten wächst die Wirtschaft solide, der starke Dollar macht Einkaufen für die Amerikaner günstig. Doch von Entwarnung kann nicht die Rede sein: Die deutsche Wirtschaft funktioniert trotz gedämpfter Exporte. Es sind der private Konsum und die Ausgaben des Staates etwa für die Flüchtlinge, die die Konjunktur stabilisieren.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2016
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