Süddeutsche Zeitung

VW-Hauptversammlung:Ruhe nach dem Sturm

Lesezeit: 2 min

Von Thomas Fromm, Hannover

Gewissenhafte Vorbereitung

Er sitzt schon eine gute halbe Stunde hier, allein hinter seinem langen hellgrauen Pult. Berthold Huber soll ab zehn Uhr die 55. Hauptversammlung des VW-Konzerns leiten, jetzt liest er, spricht leise vor sich hin, und von unten sieht man nur seinen Kopf über dem Pult. Es ist ein wichtiger Termin für ihn, vielleicht sogar einer der wichtigsten im Leben des 65-Jährigen. Er weiß das, und er bereitet sich vor.

Seit dem Rücktritt des VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch ist der frühere IG-Metall-Chef so etwas wie ein Übergangs-Chefkontrolleur, und als später dann die Aufsichtsratsmitglieder und Vorstände Platz nehmen, sitzt er neben Vorstandschef Martin Winterkorn. Es ist ein interessantes Experiment: Huber, der Gewerkschafter, einer von zehn Arbeitnehmervertretern im 20-köpfigen Aufsichtsrat, ist jetzt mittendrin.

Buchhalterisch arbeitet er sich durch die Standardpunkte seiner Rede. Gedenken an die Verstorbenen, Gehälter, Personalien. Und er sagt, dass er diese Sitzung als Stellvertreter leite. Zufällig also, weil ein anderer gegangen ist.

Applaus für den Immer-noch-Chef

Ein paar Dinge in eigener Sache, ein Lob für den Vorgänger Piëch, dessen Verdienste man "noch an anderer Stelle" würdigen werde. Und dass man einen Nachfolger "in angemessener Zeit" präsentieren werde. Dann ist Zeit für den Vortrag des Vorstandschefs. Als Huber die Chefrede anmoderieren soll, passiert er aber doch, der Fehler. Statt zu Winterkorn will er schon zu den Aktionären überleiten. "Tut mir leid, jetzt bin ich durcheinandergekommen."

Dann geht Winterkorn zum Mikrophon und hält seine Rede. "Es gab in den letzten Wochen unzählige Interpretationen, Spekulationen und leider auch Übertreibungen. Sie als unsere Anteilseigner müssen wissen: Volkswagen ist ein kerngesundes, gut aufgestelltes Unternehmen. Ein Unternehmen, auf das wir stolz sein können." Er lacht dabei, bekommt Applaus.

"Bewegte Tage" für VW

Wäre es nach Piëch gegangen, Martin Winterkorn wäre heute womöglich gar nicht mehr da. Aber der alte Patriarch war Ende April als Verlierer im Kampf um die Macht bei Deutschlands größtem Industriekonzern zurückgetreten. Er selbst hatte die Führungskrise mit dem Versuch einer Demontage Winterkorns ausgelöst. Der Betriebsrat, das Land Niedersachsen als Ankeraktionär sowie die Großaktionäre der Familie Porsche hatten aber zu Winterkorn gestanden. Gemeinsam halten die Familien Porsche und Piëch halten die Stimmenmehrheit an VW. Zusammen mit dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratschef Piëch war auch dessen Ehefrau Ursula als Aufsichtsrätin zurückgetreten.

"Hinter uns liegen - vorsichtig gesagt - bewegte Tage", sagt Winterkorn, ein Vorstandschef, der nach drei Wochen Machtkampf immer noch da ist. Der Konzern sei nun aber "in ruhigerem Fahrwasser unterwegs". Präsidium und Aufsichtsrat seien dabei, die offenen personellen Fragen zügig und bestmöglich zu regeln. Einen Kandidaten für die Nachfolge Piëchs konnte die Volkswagen-Führung noch nicht präsentieren. Man wolle bei der Suche nach einem Piëch-Nachfolger nichts überstürzen, heißt es von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der das Land im Präsidium des Aufsichtsrats vertritt. Ob der Aufsichtsrat bereits einen Fahrplan für die Suche beschlossen hat, will er nicht sagen.

Winterkorn schaut nach vorn

Der Fokus liege jetzt wieder auf dem Geschäft, sagt Winterkorn. Also spricht er über den Konzern, über Autos und Strategien. So unternimmt VW erste Schritte für eine Dezentralisierung seiner Führung. Dazu bündelt der Konzern sein schweres Nutzfahrzeug-Geschäft mit den Töchtern MAN und Scania in einer eigenständigen Holding. Die neue Dachgesellschaft für die Lkw und Busse im VW-Konzern erhält einen eigenen Aufsichtsrat, in dem die Arbeitnehmer nach Konzernvorbild ein gewichtiges Wort mitreden.

Die Dezentralisierung bei den Nutzfahrzeugen könnte als Blaupause dienen für weitere Teile des Konzerns. Von der neuen Holding verspricht sich VW eine "engere Vernetzung der Marken, kürzere Entscheidungswege und mehr Tempo in der Umsetzung".

Die Schlachten im Management sollen jetzt dagegen der Vergangenheit angehören. Piëch ist kein Aufsichtsratschef mehr, erstmals seit vielen Jahren ist er nicht einmal auf dem Aktionärstreffen anwesend. Aber irgendwie weiß jeder hier im Saal: Der alte Patriarch dürfte sich das, was bei VW passiert, genau anschauen. Jetzt erst recht.

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