Süddeutsche Zeitung

Abgasskandal:Staatsanwaltschaft vermutet hohen Schaden für VW-Kunden

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Von Klaus Ott

Die am Montag von der Staatsanwaltschaft Braunschweig in der Abgasaffäre bei Volkswagen vorgelegte Betrugsanklage enthält eine horrende Schadenssumme, die sich auf die mutmaßlich getäuschten rund neun Millionen Autokunden bezieht. Die Ermittler haben nach Informationen von SZ, NDR und WDR notiert, dass der Schaden durch den Verkauf von "wahrheitswidrig" als besonders umweltfreundlich angepriesenen Diesel-Fahrzeugen bis zu knapp 78 Milliarden Euro betrage.

So steht es in der 39-seitigen Anklageschrift gegen den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn und dessen vier Mitbeschuldigte. Die knapp 78 Milliarden Euro hatte die Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung vom Montag, mit der die Anklage bekannt gegeben worden war, nicht erwähnt. Das musste die Strafverfolgungsbehörde auch nicht tun. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich am Dienstag auf Anfrage nicht zu der von ihr angenommenen Schadenssumme für die Autokunden.

78 Milliarden Euro, das klingt nach immensen neuen Belastungen für VW, nachdem die Abgasaffäre den Autokonzern bereits fast 30 Milliarden Euro gekostet hat; vor allem in den USA. Doch die von den Ermittlern notierte Summe ist mit Vorsicht zu genießen. Die Staatsanwaltschaft nimmt offenbar an, die betreffenden Diesel-Fahrzeuge hätten allenfalls zu 60 Prozent ihres ursprünglichen Wertes weiterverkauft werden können; in den USA wäre jedoch überhaupt kein Weiterverkauf möglich gewesen.

Im September 2016, ein Jahr nach Beginn der Affäre, war das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen in einem Zwischenbericht zur Schadensberechnung sogar zu einem noch viel höheren Ergebnis gekommen. In den 28 Staaten der Europäischen Union, der Schweiz, Norwegen und den USA sei ein vorläufiger Schaden von fast 170 Milliarden Euro festzustellen. Das LKA in Hannover arbeitet der Staatsanwaltschaft in Braunschweig zu.

Volkswagen meint, in Europa sei überhaupt kein Schaden entstanden

Erst knapp 170 Milliarden Euro, jetzt immerhin fast 100 Milliarden Euro weniger, das alleine zeigt schon, wie ungenau solche Berechnungen sind. Und am anderen Ende der Skala steht die Auffassung von Volkswagen, in Europa sei überhaupt kein Schaden entstanden. Weil man die Dieselautos in Ordnung gebracht habe.

Winterkorn selbst, der alle Vorwürfe bestreitet, wird in der Anklage nur für den allerkleinsten Teil der in knapp zehn Jahren mutmaßlich neun Millionen manipulierten Fahrzeuge verantwortlich gemacht. Ihm werden, weil er spät von der betreffenden Software erfahren habe, nur 65000 Autos angelastet.

Zwei der vier anderen Angeschuldigten sollen für alle neun Millionen Fahrzeuge zur Rechenschaft gezogen werden. Den beiden, und nicht Volkswagen, wird auch die angebliche Schadensumme von 78 Milliarden Euro vorgehalten.

VW lehnt anders als in den USA in Europa weiterhin Schadenersatzzahlungen an Autokäufer ab. "Den Kunden ist kein Schaden entstanden, da alle Autos im Verkehr genutzt werden können und sicher sind. Nach wie vor werden sie von hunderttausenden Kunden täglich gefahren. Die Fahrzeuge können auch weiterhin verkauft werden. Alle erforderlichen Genehmigungen liegen vor", erklärte der Konzern am Dienstag. Für Kunden-Klagen gebe es "keine Rechtsgrundlage".

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