Süddeutsche Zeitung

US-Wirtschaftswachstum:Trump übertreibt, bis es falsch ist

Lesezeit: 3 min

Von Claus Hulverscheidt, New York

Unter all den grammatikalischen Formen und Konstruktionen, derer sich ein US-Präsident im Laufe seiner Amtszeit so bedient, ist Donald Trump der Superlativ die liebste. Die Zuschauerzahl bei seiner Vereidigung? "Die größte, die es je gegeben hat." Das Amtsenthebungsverfahren des Kongresses gegen ihn? "Die schlimmste Hexenjagd der Geschichte." Die Wirtschaftsentwicklung unter seiner Ägide? "Die beste aller Zeiten!"

Was Trump von den meisten anderen Menschen unterscheidet, die ebenfalls zu historisch fragwürdigen Vergleichen neigen, ist, dass er selbst seine unbestreitbaren Erfolge so übertrieben darstellt, dass viele Aussagen am Ende nicht mehr stimmen. Bestes Beispiel dafür sind seine ständigen Hinweise auf die gute Konjunkturlage, denn richtig ist zwar: Die Wachstumsraten sind mit Werten zwischen zwei und drei Prozent sehr solide, die Arbeitslosigkeit ist gering, und die Löhne der Beschäftigten steigen spürbar. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Wirtschaftsentwicklung "so gut wie nie zuvor" wäre, wie der Präsident beinahe im Tagesrhythmus behauptet, so auch vor drei Wochen bei seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation.

Schaut man sich das Wirtschaftswachstum der vergangenen 75 Jahre an, und lässt man die Frage, wie groß der Einfluss eines Staatschefs auf die Konjunkturentwicklung überhaupt ist, einmal außen vor, dann zeigt sich: Unter den 13 Präsidenten, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg regiert haben, liegt Trump mitnichten auf Platz eins, wie seine Aussagen immer wieder suggerieren. Auch für die Ränge zwei oder drei reicht es nicht, vielmehr ordnet sich der amtierende Regierungschef im hinteren Mittelfeld ein: auf Platz neun.

Spitzenreiter ist Lyndon B. Johnson, der es in seiner gut fünfjährigen Amtszeit in den 60er-Jahren auf eine durchschnittliche Wachstumsrate von 5,2 Prozent brachte. Hinter ihm liegen mit John F. Kennedy und Bill Clinton zwei weitere Demokraten, erst auf Platz vier folgt Ronald Reagan, den viele US-Konservative als wahren Wirtschaftswunderheiler verehren. Platz fünf belegt Jimmy Carter, den die politische Rechte als schlechtesten Nachkriegspräsidenten überhaupt schmäht, erst dann folgt mit Dwight D. Eisenhower ein weiterer Vertreter der Republikaner, die sich bekanntlich gerne ihrer ökonomischen Kompetenz rühmen. Auch Richard Nixon und Gerald Ford liegen noch vor Trump, der in bisher drei Amtsjahren einen durchschnittlichen Zuwachs von gut 2,5 Prozent vorweisen kann - Tendenz: sinkend. Hinter dem amtierenden Präsidenten rangieren nur noch George Bush, dessen Sohn George W., Barack Obama und Harry S. Truman.

Betrachtet man die einzelnen Zeitabschnitte ein wenig mehr im Detail, zeigt sich allerdings, dass die Ausgangssituationen für die einzelnen Präsidenten höchst unterschiedlich waren. Trump etwa fand bei Amtsantritt - entgegen all seiner Behauptungen - eine Konjunkturlage vor, von der viele Vorgänger nur träumen konnten: Die Wirtschaft wuchs bereits beständig, die Arbeitslosigkeit war gering, die Leitzinsen lagen so niedrig wie selten zuvor. Trumps Verdienst ist, dass es ihm gelang, die Entwicklung entgegen der Rezessionsprognosen mancher Experten zu verlängern. Der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts setzte sich - befeuert durch Steuersenkungen - fort, die Erwerbslosenquote sank weiter, wenn auch ein wenig langsamer als zuvor. Die Löhne legten etwas stärker zu als unter Obama, wobei die Kurve zuletzt eher wieder nach unten zeigte.

Andere Präsidenten hingegen mussten sich gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mit Krisen herumschlagen, die unter ihren Vorgängern ausgebrochen waren. Das gilt vor allem für Obama und Ford, die die Folgen der Finanz- beziehungsweise der Ölkrise zu spüren bekamen und Rezessionen "erbten". Auch für Truman, der die US-Industrie von Kriegs- wieder auf Zivilwirtschaft umstellen musste, war die Lage schwierig. Gleiches gilt für George W. Bush, der zu Beginn seiner Amtszeit mit den Folgen der sogenannten Dotcom-Krise und den Anschlägen vom 11. September 2001 zu kämpfen hatte und sich im letzten Jahr mit der Banken- und Finanzkrise konfrontiert sah. Bereinigte man die durchschnittlichen Wachstumsraten der Regierungschefs um Sondereffekte, würde Trump im Präsidentenranking vermutlich noch ein, zwei Plätze weiter nach hinten rutschen.

Rekordhalter in allen Disziplinen wird bis auf Weiteres Truman bleiben

Nun kann man natürlich argumentieren, dass es die Präsidenten der Fünfziger- und Sechziger-Jahre auch leichter hatten: Schon allein der Aufholprozess nach dem Krieg sorgte für deutlich höhere Wachstumsraten, als sie in einer saturierten Volkswirtschaft wie der heutigen üblich sind. Selbst wenn Trump im November wiedergewählt werden sollte, dürfte er es deshalb kaum schaffen, die Durchschnittswerte eines Johnson oder Kennedy zu erreichen. Allerdings trug er durch seine rabiate Handelspolitik auch selbst dazu bei, dass "seine" wirtschaftlichen Zuwächse hinter den theoretisch möglichen zurückblieben - und hinter allen Versprechen.

Rekordhalter in allen Disziplinen wird im Übrigen bis auf Weiteres Truman bleiben: Unter seiner Führung brach die Wirtschaftsleistung 1946 um 11,6 Prozent ein - ein Absturz fast epischen Ausmaßes. 1950 schaffte er dafür eine Wachstumsrate, die wohl nicht einmal der notorische Angeber Trump versprechen würde: 8,7 Prozent.

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SZ vom 25.02.2020
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