Süddeutsche Zeitung

Stahlindustrie:Thyssenkrupp kommt voran

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Der Ruhrkonzern liefert das Beispiel, wie schnell sich Industrien erholen können.

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Zugegeben, von Thyssenkrupp hat man schon länger nichts Berauschendes gehört. Deutschlands größter Stahlkonzern verzockte sich einst in Amerika, häufte Verluste an. 2020 verkauften die Essener ihre profitable Aufzugssparte, um eine Überschuldung abzuwenden - gerade noch vor der Corona-Krise. Doch nun, gut ein Jahr später, scheint Thyssenkrupp allmählich die Kurve zu bekommen.

So meldet der Konzern, dass praktisch all seine Geschäfte wieder besser laufen: vom Stahl über Autoteile bis zum Anlagenbau. Thyssenkrupp hebt die Jahresprognose nun um Hunderte Millionen Euro an. Unter dem Strich steht zwar noch ein Verlust. Das liegt aber daran, dass die Essener derzeit bis zu 12 000 Arbeitsplätze abbauen; dies kostet zunächst Millionen an Abfindungen. "Die Neuausrichtung von Thyssenkrupp bleibt ein Weg der vielen kleinen Schritte", wirbt Vorstandschefin Martina Merz um Geduld.

Thyssenkrupp liefert nur ein Beispiel dafür, dass sich viele Industrien von der Corona-Krise erholen. Besonders schnell gelingt das derzeit in China und den USA. In der Folge hat Deutschland im März so viele Waren exportiert wie in keinem einzelnen Monat je zuvor. Thyssenkrupp profitiert davon, wenn etwa Autohersteller nun mehr Blech benötigen oder neue Anlagen ordern. "Dieser Weg ist aber noch lang", gesteht Finanzvorstand Klaus Keysberg.

Nach gescheiterten Fusionsversuchen prüft der Konzern, sein Stahlgeschäft als selbstständige Firma abzuspalten

Und er ist holprig. Beispielsweise sind Halbleiter zurzeit derart knapp, dass Autohersteller ihre Produktion schon wieder drosseln mussten. Hinsichtlich der Logistik war mit dem Suezkanal zeitweise eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt blockiert; den Exporthäfen fehlen Container. Und in der Luftfracht fallen noch immer viele Kapazitäten in den Bäuchen von Passagierflugzeugen weg. All das bremst das Wachstum; Thyssenkrupp prognostiziert eine "gedämpfte Dynamik" in den kommenden Monaten.

Darüber hinaus stehen die Essener vor weitreichenden Entscheidungen - allen voran: über die Zukunft der eigenen Stahlwerke mit knapp 26 000 Beschäftigten an Rhein und Ruhr. Die Erträge schwanken stark, die Konkurrenz aus Asien ist groß. Obendrein steht die Sparte für einen Gutteil der Treibhausgas-Emissionen und Pensionsverpflichtungen des Konzerns. Mehrmals hat Thyssenkrupp versucht, die Stahlsparte mit einem Konkurrenten zu fusionieren oder zu verkaufen. Doch jüngste Versuche scheiterten an unterschiedlichen Preisvorstellungen oder den EU-Wettbewerbshütern.

"Wir prüfen, ob und wie wir den Stahl verselbstständigen können", sagt Vorstand Keysberg nun. "Wir haben aber auch nicht entschieden, wann wir es machen." Eine solche Abspaltung würde in jedem Fall zu lange dauern, um sie noch in diesem Jahr zu vollenden. Arbeitnehmer-Vertreter fragen sich indes, in wessen Hände eine eigenständige Thyssenkrupp-Stahlfirma geraten könnte, was dies für die Arbeitsplätze und nötigen Investitionen an Rhein und Ruhr bedeuten würde.

Zudem verursacht die gesamte Stahlindustrie derzeit gut sechs Prozent aller CO₂-Emissionen Deutschlands. Statt mit Kohle planen die Produzenten, Eisenerz künftig mithilfe von Wasserstoff zu Eisen und Stahl zu verarbeiten; dies schont das Klima, wenn der Wasserstoff mit viel Ökostrom gewonnen wird. Doch die neuen Anlagen würden Milliarden kosten und wären wohl auch im Betrieb teurer als klassische Hochöfen. "Das kann kein Stahlhersteller aus dem eigenen Cashflow machen", sagt Keysberg.

Zwar hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorige Woche nach einem Treffen mit Branchenvertretern angekündigt, dass der Staat den Umbau mit fünf Milliarden Euro fördern wolle. Nach Ansicht von Keysberg fehlt bislang jedoch ein belastbares Gesamtkonzept, wie die Stahlindustrie in Europa klimaneutral werden soll, ohne auf dem Weltmarkt verdrängt zu werden oder an beihilferechtlichen Hürden zu scheitern. "Deswegen können wir damit nicht zufrieden sein", sagt der Thyssenkrupp-Vorstand. Über den Berg ist sein Konzern mithin noch lange nicht.

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